Himmelfahrt ging es diesmal auf die Obra, sozusagen ein Hausbach des Berliners, nur 212km Anfahrt. Ich war bisher 4x auf der Obra, aber noch nie am Beginn des Flusses gestartet. So wählen wir diesmal Kopan/Kopanica als Startort, in der Kilometrierung der Wikinger der Kilometer 0. Von Kopanica sind es 120km bis zur Mündung der Obra in die Warthe. Aber so weit wollen wir gar nicht fahren. 120km würden wir in den 4 Tagen sowieso nicht schaffen. Zudem haben wir für diese Jahreszeit ungewöhnlich wenig Durchfluss, und das führt zu viel mehr Baumhindernissen, die gerade im unteren Teil des Flusses (uh des Stausees Bledzew) legendär sind (~200 Bäume querliegend). Also ist der Plan, nur ~70km bis Meseritz (Międzyrzecz) zu fahren.
½5 liegt das Boot aufgebaut, gepackt und abfahrbeit am Steg des "Przystań kajakowa Kopanica". Przystań, das Wort habe ich tatsächlich gleich verstanden. Uns begegnete es letzten Sommer im Ural als Пристань am Ufer des Shchugor und bedeutet Anlegesteg, Kai oder so etwas. Tatsächlich ist bereits hier am Obra-Kilometer Null eine gewisse Paddler-Infrastruktur vorhanden. Ich parke das Autochen 150m weiter mitten im Ort, und los gehts. Zunächst ist die Obra, oder hier heißt das Gewässer wohl noch Południowy Kanał Obry, 15m breit und flach. Die Wasserpflanzen sprießen schon heftig, und ich glaube, im Sommer ist hier kein Durchkommen mehr, da wird alles zugewachsen sein (siehe Kajakiem przez Południowy Kanał Obry). Nach 1.3km kommt ein Wehr, welches wir treideln. Die Wasserstands-Differenz beträgt nur wenige cm. Wenn nur eins der 3 Wehrfelder geöffnet gewesen wäre, hätte man wohl auch fahren können, bei mehr Durchfluss sowieso. Eventuell hätte man die Wehrverstellung sogar selber vornehmen können, aber dieser Gedanke kam mir erst, als uns ein Pole aus der Ferne beobachtet hat, mit seinem PKW heranraste, und sich vergewisserte, dass nichts verstellt wurde. Dann fuhr er gleich wieder ab. Spätestens 800m weiter beginnt der Fluss dann sehr natürlich zu werden. Die Umgebung ist sehr ruhig, Fahrzeuggeräusche verschwinden in der Ferne. 3km durchquert man nun eine einsame Sumpflandschaft, den in den letzten 100 Jahren stark verlandeten Kopnitzer See (Jezioro Kopanickie), und gelangt auf den Großdorfer (Wielowiejskie) und gleich anschließend den Köbnitzer See (Jez. Chobienickie). Wir passieren eine Kormoran- und Reiherkolonie (diese Fischfresser zählen nicht gerade zu den melodischsten Vögeln) und landen nach knapp 2h Paddeln gegenüber dem Reiherschutzgebiet Rezerwat Wyspa na Jeziorze Chobienickim mit seinen ~300 Jahre alten Kiefern und Eichen an. Wir finden einen sehr ruhigen, abgelegenen Platz mit Badestelle, Wiese, und viel Feuerholz. Seeadler, Kormorane, Reiher, Pirol..., viele Fledermäuse. Ich probiere meine persönliche Neuentdeckung: Erbswurst, ein Outdoor-Komprimat, welches im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 als erste industrielle Instantnahrung überhaupt seinen Siegeszug antrat (heute fast schon wieder vergessen). Man bekommt sie für 7.50€ im Versandhandel oder für 1.29€ bei Kaufland oder Kaisers.
Am nächsten Morgen werden Nudeln gekocht. Sonne, halbwegs warm, jedenfalls kann man schon nackt herumsitzen. Um 12 geht es los. Wir haben den Ausfluss aus dem See erreicht, da bemerken wir, dass die Thermoskanne liegengeblieben ist. Also noch mal zurück. Später, auf dem 1.8km langen Verbindungsstück Obra zwischen dem Köbnitzer und dem Groitziger See (Jez. Grójeckie), durchqueren wir den Ort Grójec Wielki, schöne Wassergrundstücke, Ziege. Danach geht es über den Neuendorfer See (Jez. Nowowiejskie), durch Nowa Wieś Zbąska, auf den großen Bentschener See (Jezioro Błędno bzw. Zbąszyńskie). Hier kommt uns eine große Gruppe entgegen, Berliner, ~20 Schüler in Leihcanadiern mit einem Begleiter im Kajak. Wir unterhalten uns kurz, wobei ich vor allem wissen möchte, ob man denn durch die jetzt kommende Ortschaft Bentschen (Zbąszyń) überhaupt gut durchfahren kann. Ich hatte da schnellfließende Flachwasserstrecken, evtl. Wehre oder Rohrdurchlässe mit längeren Umtragen befürchtet, aber es scheint alles easy zu sein. Der Bentschener See ist mit 7.4km² genau so groß wie der Müggelsee, allerdings etwas flacher. Eine weitere Gruppe Boote (2 Canadier, ein Palava, eine Kajak) legt vor uns von einem Rastplatz ab und paddelt nach Norden. Wir steuern direkt den Seenausfluss an. Der Seenausfluss ist mit einer kleinen roten Boje markiert. Nach 4½km über den See, den frischen Wind von der Seite, sind wir wieder auf der Obra. 400m, und wir müssen ein hohes Wehr umtragen. Ging gut auf der rechten Seite, nur 50m zu tragen, der Fischer weist uns ein. Kurz darauf stoßen die gerade gesichteten 4 Boote ebenfalls dazu. Es handelt sich um 8 Zittauer, die ebenfalls öfter in Polen paddeln gehen. ¼4 sind wir in Bentschen, eine der ältesten Städte des heutigen Polens, Stadtrecht 1311. Wieder ein guter Paddlersteg mitten im Zentrum, Eis essen und 6L Trinkwasser fassen. Die Wasserqualität der Obra ist doch recht mäßig, und so besteht Andrea auf Wasser aus dem Wasserhahn. Am Ortsausgang kommt dann die einzige Stelle, bei der man bei Niedrigwasser etwas vorsichtig sein muss, nämlich ein kleiner Schwall unter der Eisenbahnbrücke. Aber wir hatten ausreichend Wasser und keinerlei Grundberührung. Jetzt sind es wieder 8km bis zum Naßlettel-See (Jez. Głębno bzw. Lutol). Früher war dieser See ein herrliches Naturgebiet mit zwei sehr ruhig gelegenen Biwakplätzen, je nach Vorlieben mit Morgen- oder Abendsonne. Buchenwälder, frisches Grün, Vogelstimmen. Seit 3½ Jahren aber dröhnt am Nordende des Sees der niemals enden wollende Schwerverkehr der Ost-West-Hauptverbindungsachse, der Autobahn A2 ("Autostrada Wolności" - "Autobahn der Freiheit"). So fahren wir noch 2½km weiter und finden am Rande eines Kiefernwaldes ein gutes Nachtlager. Ganz ruhig ist es hier zwar auch nicht, man hört bereits in der Ferne die "Mautpreller", die in hoher Zahl durch Tirschtiegel (Trzciel) brettern, aber doch besser als am Lutol-See. Das Feuer entfachen wir direkt am Ufer. In Waldnähe ist die Brandgefahr zZ wirklich zu hoch. Der ganze Waldboden liegt voller Unmassen an Feuerholz, ist knochentrocken und könnte sich leicht entzünden.
Am nächsten Morgen starten wir um 11. Wir überqueren den Mühlen-See (Młyńskie) und erreichen nach 2km den Ort Tirschtiegel. Am Ortseingang grast eine Graugansfamilie mit 4 schon ziemlich großen Gösseln und lässt sich auch von den beiden Jungs, die am Steg angeln, nicht stören. Vor 30 Jahren sähe das Bild wohl noch anders aus: Wildgänse waren selten, dafür streiften überall große Gruppen weißer Hausgänse über die Wiesen und fraßen sie kurz. Das Ergebnis waren perfekte, dichtbewachsene, kurzgeschorene Golfrasenflächen, die nur leider überall etwas beschi.... sind. Heute findet man solch ein Bild noch in Teilen der Ukraine. In Tirschtiegel fällt mir auf, dass das Schild, welches auf das kommende Naturschutzgebiet hinwies, nicht mehr steht. Darauf hieß es: "Auf dem Gebiet des Reservates ist es verboten: - sich aufzuhalten - zu angeln - Boot zu fahren. Dies gilt nicht für Teilnehmer von Kajakwanderungen auf der Obra-Kajakroute, die durch das Reservat "Jezioro Wielkie" abwärts fahren. Gruppen von Kajakwanderern unter Aufsicht von Organisatoren dürfen nur die festgelegte Trasse in der Zeit vom 15. Juni bis 31. August zwischen Sonnenauf- und untergang befahren und nicht am rechten Ufer, an den Inseln und im Schilf halten. Achtung! Der Organisator der Kajakwanderung ist verpflichtet, für das Durchqueren des Reservates jedesmal die Einwilligung des Psczewski-Naturparks zu erlangen. Zuwiderhandelnde gegen diese Anordnung haben eine Strafe lt. Gesetz vom 16. Dezember 1991 über den Schutz der Natur zu erwarten." Uns als Privatpaddler hat das immer vor unlösbare Aufgaben gestellt, die nur unter blankem Bruch der Vorschriften gelöst werden konnten. 2km weiter beginnt das Naturschutzgebiet. Ein Hirsch wird von uns aufgeschreckt und überquert direkt vor uns den Fluss. Auf dem See selbst ist jetzt eine Reihe von roten Bojen mit der Aufschrift "Rezerwat" gesetzt worden. Wie genau man sich hier verhalten soll, weiß ich noch nicht, aber die Situation wurde für die Paddler entschärft. Möglich wäre, man soll sich entlang der Bojenreihe halten, oder man kann eine Hälfte des Sees befahren. Immerhin werden hier im Schutzgebiet nicht nur eine Kormorankolonie geschützt, sondern auch Brutkolonien von Fluß- und Trauerseeschwalben, die wirklich ungestörte Brutplätze benötigen. Werden diese Tierchen in der Nähe ihrer Nester gestört, werden sie sehr ungehalten und greifen auch Menschen an (Sturzflug mit Schnabelpicker auf den Kopf). Aber wir halten ausreichend Abstand. Nach 3km über den Großen See (Jez. Wielkie) liegt links der Ausfluss der Obra. Wir unterqueren die Straßenbrücke nach Rybojady und gleich darauf passieren wir das letzte Wehr dieser Tour, welches den Wasserstand des Sees regelt. Es steht offen und ist befahrbar. Nun beginnt ein sehr einsamer Abschnitt, recht naturnah, mit meist sumpfigen Ufern, schilfbewachsen, und wenigen Bäumen im Fluss. Anfangs begleitet uns eine wenig befahrene Straße, die dann aber abbiegt. Es wird sehr ruhig. Biber waren häufig aktiv, und in ein paar Jahren wird wohl kaum noch ein Baum im Fluss liegen, weil einfach keiner mehr da ist, der reinfallen könnte. Nach einer längeren Pause passieren wir ein paar seenartige Erweiterungen des Flusslaufes und gelangen ½5 an die Försterei Rańsko. Hier setzen gerade 8 Kajaks ein, eine große Gruppe Kinder mit Begleitpersonen. Ich wundere mich über den späten Startzeitpunkt. Der Himmel hat sich nun zugezogen und es beginnt ab und zu leicht zu regnen, kurzzeitig auch stärker. Am Ortseingang von Politzig (Policko) stoppt uns dann erstmals ein richtiges Baumhindernis. Andrea steigt aus, und ich kann auf dem Stamm stehend das vollbeladene Boot schräg über den Baumstamm ziehen. Wir sitzen wieder im Boot, da kommen auch schon die Kajaker, die in Rańsko gestartet sind. Auf den weiteren Kilometern ist die Obra tief eingegraben, immer wieder schöne Steilufer, etliche gefallene Bäume im Wasser, aber keine wirklich stoppenden Hindernisse mehr. Heute endet unsere Tour nach 33km am bewirtschafteten Rastplatz "Nad Obrą", 4 km vor dem Ziel Meseritz (Międzyrzecz). Am Ufer liegen bereits 2 RZ85. Sie gehören einer Hallenser Familie, die mit 2 Kindern im Grundschulalter in Babimost gestartet sind und noch weiter fahren wollen bis zum Höllengrundsee (Jez. Chycina). 5€ kostet der Platz pP, inklusive warmer Dusche und Feuerholz.
Damit endet unsere Paddeltour nach 71km auf dem Wasser. Am nächsten Tag laufe ich 3km bis Meseritz und nehme mittags den Bus für ebenfalls exakt 71 Straßen-km zurück zum Auto (12+8.3 Złoty ~5€, 1x Umsteigen in Züllichau/Sulechów). Dann tuckern wir zurück nach Hause.
Vielen Dank für den interessanten Bericht. Die Stege sind ja First Class, da legt man gerne ab/an. Ich bin bis dato erst an einem vernünftigen Steg an einem Fluss! abgelegt.
Das Tischlein auf Foto 18, ist dies eine Art Klapp-Tritt (Woick)? Vielen Dank.
Grüße von der Donau oder nicht weit weg davon, Mike
Zitat von sputnik im Beitrag #5http://www.bergsport-welt.de/Grand-Canyon-Micro-Table-Falttisch-40x30x15cm?gclid=CK-W_8Ki0MUCFTPMtAodJjgAWw
Mike, glaube nicht den Rezensionen. Auch die Billigvariante läßt sich mit der richtigen Technik leicht aufstellen, bzw. die Haltestäbe einfädeln.
Ja genau, das ist der Tisch, Andrea hat ihn von Globi. Den Rezensionen muss ich aber bezüglich des fummligen Aufbaus klar beipflichten.
Zitat von Donaumike im Beitrag #4Die Stege sind ja First Class, da legt man gerne ab/an. Ich bin bis dato erst an einem vernünftigen Steg an einem Fluss! abgelegt.
First-Class-Stege habe ich in Deutschland auch schon mal kennengelernt, nämlich an der Peene. Da schwimmen sie sogar, was den Vorteil hat, dass sie sich immer in der richtigen Höhe befinden (Bild).
Zitat von Spartaner im Beitrag #6....... Ja genau, das ist der Tisch, Andrea hat ihn von Globi. Den Rezensionen muss ich aber bezüglich des fummligen Aufbaus klar beipflichten.
Gruß Michael
Du hältst den Tisch an einem Lättchen und läßt ihn senkrecht hängen? Dann lassen sich die Stäbe doch ganz einfach durchschieben.
Gruß, Stefan
__________________________________________________ Stark und groß durch Spätzle mit Soß'
Moin Andrea, Moin Michael, schöner Bericht,danke. Wenn`s nur nicht so viel weiter weg von mir wäre... (aber ich war dort auch schon). Viele Grüße docook
Info für die "Holzwürmer" unter uns: 6. Holzkanadiertreffen 19.6. – 21.6.2015 DAS ORIGINAL in Ritterhude. Infos siehe hier im Forum im eigenen thread.
Ein Bild möchte ich noch nachreichen: das Denkmal für den einsamen Paddler Es steht mitten in Bentschen (Zbąszyń) direkt an der Obra und wurde 2009 eingeweiht. Immerhin 750kg Bronze war es wert.
Schöner Bericht, macht mal wieder Lust auf den Fluss. Das letzte Stück bis Skwierzyna ist ebenfalls noch lohnenswert. Es gibt lediglich 1 Portage. Bin ich mal bei recht hohem Wasserstand gefahren. http://www.open-canoe-journal.de/journal...brabericht1.pdf
Bei viel Wasser bin ich deinen letzten Abschnitt auch schon mal gefahren, sogar zu dritt im Ally, aber diesen Teil wollten wir wegen dem Niedrigwasser diesmal nicht angehen.