Erfolg!
meine Prototypen-Roorkhees sind fertig. Mehr oder weniger zufällig gab mein noch herumliegendes Material zwei Stück her und Spaß hat das Bauen genug gemacht für noch vier. Im Bild zu sehen im meiner Meinung nach stimmigen "Ensemble" mit einem ähnlich prototypenhaften Berger/Kreipke-Tisch.
Das Packmaß ist etwa 60x15x10cm (ganz grob - hab leider vergessen, zu messen - reich ich nach, versprochen). Inklusive Packtasche wiegt einer etwa 3kg, ohne etwas über 2,5kg (hab ich gewogen). Im Bild von links nach rechts: Stuhl eins im knapp bemessenen Packsack, Stuhl zwei im deutlich luftiger geratenen Beutel, Tisch in seinem Sack und schließlich ein Trecking-Kissen von etwa 40x30cm zum Größenvergleich.
Die Holzteile sind aus Kiefer (Abfallstücke mit reichlich Ästen und schrecklicher Bläue ;), 22mm-Kieferrundstäbe aus'm Baumarkt, Leder (3-4mm stark) für die Armlehnen und Segeltuch (330g/m^2) für Bespannung und Packtasche. Die Lehnenleisten werden mit zwei langen Edelstahlschrauben mit reichlich Unterlegscheiben und Flügelmuttern angeschraubt. Die Knubbel zum Drüberstülpen der Lederriemen kommen wie von Chris Schwarz empfohlen aus'm Autozubehör.
Beim Bau und im Test sind mir folgende Dinge aufgefallen:
Nach kurzem Drübernachdenken ist so ein Stuhl sehr schnell und einfach aufzubauen. Außerdem macht es unwahrscheinlich Spaß, die Konusverbindungen ineinanderzupuzzlen, vor allem, wenn sie sich dann exakt und "saugend" ineinanderfügen. Falls es wen interessiert: Ich hab eine epische Bildergeschichte des Puzzlevorgangs angefertigt.
Zusammengebaut ist der Stuhl sehr stabil. Es knarzt zwar immer mal Holz oder Bezug, wenn es/er sich neuen Gegebenheiten anpaßt, aber nie bedenklich. Sogar kippeln hab ich versucht: Ging prinzipiell, brachte aber doch die läppischen Baumarkt-Rundstäbchen (22mm Durchmesser) an ihre Grenzen. Voraussetzung ist aber, das vor allem die Querverspannung auch ordentlich straff sitzt. Ansonsten drückt man schonmal mit den Oberschenkeln die vorderen beiden Beine auseinander. (Siehe unten zum Thema Nachspannen der Querverspannung.)
Der Stuhl ist in dieser Ausführung ziemlich niedrig und durch die schräge Sitzfläche eher eine Art Liegestuhl. Wer sich gern prim und proper mit geradem Rücken an den Abendbrottisch setzt, der muß wohl die Maße des Stuhls abändern oder einen anderen nehmen.
Durch die Liegestuhlartigkeit ist das schon angesprochene Drücken der vorderen Querleiste am Oberschenkel beim normalen Sitzen mit angewinkelten Beinen kein Thema. Der kommt mit der Strebe einfach nicht in Berührung. Will man aber die Beine langstrecken oder im Stuhl nach vorn rutschen um sich vorzuneigen, spürt man sie deutlich. Das ist aber meiner Meinung nach aus folgendem Grund nicht so sehr schlimm:
Sitzt man nur auf der blanken Bespannung, wird einem selbst an einem lauen Sommerabend schnell kalt an Hintern und Rücken. Wer schonmal in einer Hängematte zu schlafen versucht hat, kennt das Phänomen. Also muss man sich wohl oder übel mit zwei Kissen behelfen. Dann verschwindet auch das Drückproblem der Querstrebe fast vollständig.
Die Fummelei mit den Flügelmuttern ist... naja, halt fummelig. Bei jedem Aufbauen fällt einem mindestens eine Unterlegscheibe und eine Mutter in's Gras. Also sollte man immer Ersatz mitnehmen, denn der Tag, wo man eine nicht wiederfindet, kommt mit Sicherheit. Hier hätte das Konzept des Kermit Chair klare Vorteile.
Bei Benutzung lockern sich die Flügelmuttern und man muß sie regelmäßig nachziehen. Oder man kontert mit etwas gegen, was aber dem Sinn der Flügelmutter irgendwie zuwiderläuft. Bis jetzt ziehe ich einfach immer mal nach, aber sehe schon den Zeitpunkt kommen, wo mich das aufregt. Was ich dann mache, weiß ich nicht.
Die Bespannung, insbesondere die schmale Querverspannung, dehnen sich nicht zu knapp. Man muß zwar nicht, es macht aber Sinn, zumindest diese justierbar auszulegen. Das habe ich dann auch direkt noch mit Ösen und Schnur nachgerüstet. BTW: Die Knoten sind Topsegelschotsteks (taut-line hitches) aus doppelt genommener 4mm Reepschnur. So sind sie verstellbar, tragen aber ganz schön auf. Kennt wer 'nen besseren Knoten für den Einsatzzweck? Separate Schlinge am einen und Topsegelschotstek am anderen Ende wollte ich nich machen, um die Kraft an den Ösen und damit die Belastung des Stoffs etwas besser zu verteilen. Wobei, jetzt wo ich's jemandem erzähle, kommt's mir doch wie 'ne alberne Überlegung vor. Edit: Äh, wieso hab ich Idiot eigentlich drei separate Schnüre eingezogen und nicht eine kreuz und quer verspannt? Note to self: Nochmal umrüsten. ;)
Die Anforderungen an Ausrüstung und Können beim Bau sind minimal. Okay, ich hab mit den Veritas-Spezialwerkzeugen (Der Riesenanspitzer ist 'ne Messe!), 'ner Kreissäge, 'ner Abrichte/Dickte, 'nem Rotationsschleifer und 'ner Nähmaschine nach dem Problem geworfen, aber es wäre (zumindest fast) auch mit Baumarktleisten und 'nem (scharfen :) Taschenmesser gegangen. Zum Thema Können (also meins) muß man sich nur mal die Nähmaschinen-Nähte genauer ansehen. ;)
Außerdem ist das ganze Projekt unwahrscheinlich nachsichtig, was Idiotie des Werkelnden und Material- oder Fertigungstoleranzen betrifft. Bei der einen Lehne hab ich mich um satte vier Zentimeter Saumzugabe vertan. Als Ergebnis ist jetzt halt die Lehne assymetrisch und ich mußte noch zwei Löcher vier Zentimeter weiter unten in die Lehnenleisten bohren. Wenn der Sitzbezug aufgrund unerklärlicher Abweichungen (Hehe. ;) beim zweiten Stuhl zwei Zentimeter länger ausfällt, ist das fast egal, weil der sich beim Draufsetzen ja eh von allein spannt und man fast nix mehr davon bemerkt.
Genauso kann man Maße und Aussehen des Stuhls fast beliebig variieren. Wem z.B. die geneigte Sitzfläche nicht gefällt, der macht sie sich einfach waage. Oder eben breiter. Oder höher. Oder sonstwas. Und das alles durch Austausch oder Nacharbeitung einzelner Teile, ohne gleich den ganzen Stuhl wegwerfen zu müssen.
Denn da nichts dauerhaft verbunden ist, läßt sich jedes einzelne Teil später austauschen, nachbearbeiten oder sonstwie anpassen. Beine aus Kiefer mit Bläue sind blöd? Kein Problem: Einfach welche aus Eiche bauen. Sie sollen doch gedrechselt sein? Na dann halt ab damit auf die Drechselbank. Die bringt erst der Weihnachtsmann? Na dann eben dann. Finde ich einen nicht zu unterschätzenden Vorteil.
Die gleichen Überlegungen stellt witzigerweise ein folgender
Blogpost unabhängig von mir an. Insofern scheine ich nicht so weit danebenzuliegen.
Fazit: Mir gefällt der Roorkhee-Chair unwahrscheinlich, und wenn nur, weil selbst-versalzen nunmal am besten schmeckt. Mit Sicherheit auch, weil ich keine 150+ EUR für ein Fertigprodukt mit unklarem Nutzwert nach Amiland überwiesen habe. Wenn ich ihn in einem halben Jahr immer noch einpacke und benutze, hat er's geschafft.