Auf ein Blatt Papier war er aufgemalt, der Weg von Djupdalen nach Tyngsjö. Wir folgten dieser Skizze erst, fanden wir uns aber schon bald inmitten borealer Wälder aus Kiefer, Birke und Aspe auf staubigen Schotterpisten. Straßenschilder gab es hier nicht in dieser menschenleeren Gegend in Dalarna. Mussten wir nun rechts abbiegen oder ging es geradeaus weiter? Eine grobe Touristenkarte und auch das Navi waren sich nicht einig. Wir versuchten, uns Stück für Stück unserem Ziel, dem Tyngsjö Adventure Center von Carin und Edwin, ratend zu nähern.
Hinter uns lagen Paddeltouren auf den großen Seen in Dalsland, einem Land wie bei Selma Lagerlöff. Weite, im Sonnenlicht funkelnde Wasserflächen, großzügig von Wald umschlossen und, wo der Wald gerodet war, ausgedehnte Wiesen und Weiden bis zum Ufer hin. Dazwischen hier und dort rote Häusern mit weiß gerahmten Türen und Fenstern. Bekannte Motive Schwedens. Bilder wie aus Touristenkatalogen. Überhaupt großzügig: Das Land erscheint in großen, gefälligen Linien geformt. Nicht wie etwa die anheimelnde Landschaft um Bodensee, Chiemgau oder in der Oberpfalz, nein, weit, offen, groß, mit schier unendlich weit gespanntem, nicht enden wollenden Himmelszelt.
Schon in den ersten Stunden nach Verlassen der Fähre haben wir im Morgengrauen Kontakt mit Schwedens mächtiger und imposanter Wildart, dem Elch. Und irgendwie erwacht durch diese Begegnung dieses vorsichtige, kaum erst spürbare Sehnen nach Wildnis, nach mehr davon, nach Weite und Freiheit, nach Grenzenlosigkeit, vielleicht auch nach dem prickelnden Gefühl des Sich-Verlieren-Könnens in endloser Weite, in der wir Zivilisationskrüppel verlernt haben, uns zurecht zu finden und zu überleben. Den Fährten der Elche begegnen wir ab jetzt auf Schritt und Tritt. Unsere Hunde zeigen sie uns immer wieder mit großer Begeisterung.
Apropos Wildnis: Wieviel Wildnis braucht der Mensch? Und wieviel Infrastruktur brauchen wir wirklich? Kommen wir nicht auch mit viel weniger aus? Wieviel Anbindung an die Adern der Zivilisation brauchen wir tatsächlich? Und wieviel Angst vor der scheinbar unberechenbaren Natur spielt sich zwischen unseren Ohren ab und nicht auf den nächsten zwanzig oder hundert Metern vor uns? Es gibt doch gar keine Natur mehr! Freies, ursprüngliches, nicht von Menschen geprägte Leben gibt es doch höchstens noch in Kamschatka oder Kodiak! Und selbst dorthin haben wir Menschen über unseren Einfluß auf das Klima unsere Finger ausgestreckt.
In Frankreich haben wir gelernt, dass wir gut auf und mit dem Fluss leben können, ohne jeden Tag zwangsläufig ein Dorf aufsuchen zu müssen. Der Fluss bestimmte unseren Tagesablauf. Wir haben dieses Leben sehr genossen, ohne uns ständig darüber im Klaren zu sein, dass die nächste Straße im Schnitt nicht weiter als höchstens 50 Meter entfernt war. Und jetzt hier in Schweden: Proviant haben wir dabei. Mette hat geduldig in tagelanger Arbeit Hackfleisch, Zwiebeln, Obst und Gemüse gedörrt. Und unser Wasser können wir auch selber filtern. Die Angel fehlt nicht und der ein oder andere Fisch konnte bisher unserem Köder nicht widerstehen. Also: Was hindert uns, in die Wildnis zu gehen?
Auf einen Tip von Godi machen wir uns auf, den Klarälven herunter zu paddeln. Godi, einem Paddlerfreund aus dem Open Canoe Journal Forum, und seiner Freundin liefen wir bei der Ankunft im ersten canoe base über den Weg. Auf einem Campingplatz am Klarälven kommt dann von Theo der Tip: „Macht doch die Tyngsjö-Tour. Nehmt Euch drei, vier Tage Zeit und paddelt auf Euch allein gestellt eine sehr schöne Tour über etliche Seen. Carin und Edwin werden Euch einweisen und helfen. Ich kann das für Euch organisieren“. So fing es an.
Noch irren wir durch diese weiten Wälder aus dunklen Kiefern, weißstämmigen Birken und zitterblättrigen Aspen, deren Blätter im leisesten Windzug silbriggrünlich glitzern, mal vorbei an moorigen Wasserlachen, mal an den Spuren forstlicher Nutzung. Alles immer kilometerweit und endlos. Wir geraten in Streit, welchen Weg wir nehmen müssen: Folgen wir nun der Zeichnung, der Touristenkarte oder dem Navi, das in diesem Niemandsland den Dienst versagt. Warum? Weil unser mitteleuropäisches Navigationssystem auf einer anderen technischen Grundlage als das Schwedische beruht. Was uns schließlich weiterhilft, ist der Sonnenstand und die hilfsbereite Auskunft einer entgegenkommenden Autofahrerin. Sie kennt Carin und Edwin. Klar, hier oben kennt man sich in dieser Weite bei diesen wenigen Menschen. Bald sind wir wieder auf befestigter Straße und kurz danach stehen wir vor dem gelben Haus von Carin und Edwin.
Carin stellt frischen Kuchen auf den Tisch, heißt uns zuzugreifen und verwöhnt uns obendrein mit frisch gebrühtem Kaffee! Während wir genießen und über Gott, die Welt und die Gnietzenplage plaudern, die dieses Jahr wohl schlimmer ist als sonst, kommt Edwin. Die beiden gastfreundlichen Holländer bauen seit ein paar Jahren ihr kleines Unternehmen auf und bieten Paddeltouren in verschiedenen Längen und nach unterschiedlichen Ansprüchen und Anforderungen an. Einzelreisende, wie wir, oder auch ganze Gruppen – mal klein, mal groß, sind ihre Gäste. Die Ausrüstung samt Kanu, Paddel, Bootswagen und Schwimmweste kann geliehen werden. Auch in anderen Fragen der Vorbereitung steht Carin hilfreich zur Seite. Bei uns ist das ein bisschen anders: wir haben alles dabei, was wir brauchen. Eines ist allen diesen Touren gemeinsam: Auf der Tour ist man auf sich selbst gestellt und lebt aus eigener Kraft – von der Wahl des Lagerplatzes bis hin zur Verpflegung. Aber keine Sorge: So allein ist man nun auch nicht. Für alle Fälle gibt es das Mobiltelefon, das den Kontakt „zur Welt“ erhält.
Bald stehen wir am Einsatzpunkt. Vor uns breitet sich in der Nachmittagssonne ein weiter See aus. Es ist still, so still, dass ich meinen eigenen Atem zu hören glaube. „Sagt mal“, sage ich zu Mette und Edwin, „so unmittelbar greifbar habe ich Stille schon seit langem nicht mehr gehört. Du hörst ja nichts von dem, was Du so üblicherweise als Geräuchkulisse gewohnt bist wahr zu nehmen. Hier hörst Du wirklich nur natürliche Geräusche.“ Edwin schmunzelt und schaut weiter zu, wie wir den Kanadier beladen, bevor er uns unserem Schicksal überläßt.
Bald liegt der Kanadier voll beladen im Wasser, die Hunde haben ihren Platz eingenommen, folgen Mette und ich. Die Paddelblätter tauchen ins Wasser, verankern sich kurz und bringen uns mit kleinen gurgelnden Wirbelungen in Bewegung. Es hat beinahe etwas Feierliches, dieses Starten zu einer neuen Paddeltour. Ein paar Schläge und das Kanu gleitet sanft dahin. Sich aus eigener Kraft vorwärts bewegen, das notwendige Gepäck an Bord, das ist schon befreiend! Es gibt Dir ein Gefühl der Unabhängigkeit. Was Du wirklich brauchst, hast Du dabei. Es ist nicht viel, was Du brauchst, um loszuziehen.
Während wir unseren Rhythmus finden, die Landschaft in uns aufnehmen, kurze Absprachen über den Kurs treffen, kommt die Idee „Wir könnten die Angelrute auswerfen und schleppen“. An das Stahlvorfach kommt ein kleiner glitzernder Blinker und schon sirrt die Schnur von der Rolle, als der Blinker weit achteraus fliegt. Das sirrende Geräusch elektrisiert Artos und er sitzt sofort gespannt im Boot und verfolgt aufmerksam den fliegenden Köder. Als er weit genug hinter uns platschend ins Wasser fällt, schließe ich klackend den Bügel und klemme die Rute zwischen die Knie. Gleichmäßig paddeln wir weiter und erfreuen uns an der menschenleeren Landschaft. Nur hin und wieder steht eine Hütte am Ufer. Die meisten sind offenbar Ferienhütten und unbewohnt. Ein einsamer Badender steigt nackt aus dem See. So läßt sich´s leben!
Rrrrrrr, reißt mich die Angelrolle aus meinen Gedanken. Schnell greife ich sie auf und versuche gegen den Widerstand, Schnur einzuholen. „Scheiße, Mette, ich glaube, ich habe einen Hänger“ und kurbel und kurbel, um an den Köder zu kommen. „Kann ich helfen?“ „Nee, laß mal. Ich zieh mich mal näher ran und guck mal, was da dranhängt“. Während ich weiter Schnur einhole, taucht hinter uns aus dem Wasser eine dreieckige Spitze auf. Wurzel, denke ich. Vonwegen! Die „Wurzel“ fängt an zu kämpfen, je näher sie ans Boot kommt. Mit kraftvollen Sprüngen versucht ein Fisch, den Köder, der ihn nicht freigeben will, loszuwerden. Artos schaut gespannt zu und möchte am liebsten helfen. Längst ist der Jäger in ihm erwacht. Angelrutenspitze runter aufs Wasser und dem Fisch keine Chance zum Aufbäumen geben! Jetzt taucht er in die Tiefe ab und holt sich Meter um Meter Schnur von der Rolle. Elastisch halte ich Kontakt und hole meinen Fisch wieder näher ans Boot heran, wenn die Flucht in die Tiefe erlahmt. Mit der anderen Hand versuche ich, den Kescher klar zu machen. Mette sitzt vorne und kann deshalb nicht helfen. In der einen Hand also die Rute mit dem kämpfenden Fisch, immer die Rutenspitze dabei flach über dem Wasser haltend, mit der anderen den Kescher ausklappen und die beiden Bügel arretieren, damit ich den Fisch landen kann. Sein Widerstand wird schwächer. Ich hole den Fisch vorsichtig längsseits und sehe jetzt voll Freude, dass ein ordentlicher Hecht gebissen hat. Der Kescher gleitet unter den torpedoförmigen Körper und der Fisch ist im Netz. Jetzt kann ich ihn landen und ihn töten. Super! Das hat gepaßt! Für unser Abendessen ist gesorgt! Ich löse den Blinker aus den starken Hornplatten des in mehreren Reihen zahnbewehrten Kiefers und werfe wieder aus. Bisher sind wir in Ufernähe die östliche Seite dieses Sees hochgepaddelt. Jetzt queren wir den See und wollen uns auf der anderen Seite eine kleine Insel für unser Nachtlager suchen.
Die ersten Inselchen, die wir uns anschauen, bieten kaum Platz, um selbst unser kleines Zelt aufzustellen. Eine der nächsten Inseln hat eine blaubeerbewachsene ebene Stelle, die ausreicht, das kleine Zweimannzelt aufzustellen, bietet genügend trockenes Brennholz und einen kleinen Sandstrand, an dem wir Feuer machen können. Ein Steinwall zeigt, dass hier vor uns schon jemand gelagert hat. Bald steht das Zelt auf und ist eingerichtet. Das Blaubeerkraut wird eine bequem gepolsterte Lagerstätte bieten. Das Feuer brennt, die Hunde sind versorgt und Feuerholz ist in ausreichender Menge gesägt. Der Fisch ist ausgenommen, geschuppt und filettiert. Jetzt können Mette und ich uns ans Feuer setzen, vorher noch mit Mückenschutz einbalsamieren und genüßlich einen Schluck Bier trinken. In die Abendstimmung, der bis tief in die Nacht keine Dämmerung folgt, fällt das rauhe Trompeten eines Kranichs. Er kommt wohl aus dem verlandenden Teil des Sees weiter vorne am Ufer. In diese herbe Landschaft paßt dieser markige, kehlige Schrei, der so gar nichts Melodisches hat, besonders gut. Ist es das, was am Norden so fasziniert? Auch der gellende Ruf des Prachttauchers, hier oft zu hören, gibt das Gefühl, am nördlichen Rand des vertraut-bekannten Mitteleuropas angekommen zu sein.
Den Hecht braten wir in Öl, mit Meersalz und Kräuterpfeffer gewürzt – Hecht nature à la canoe. Mette probiert ein Stück, genießt auch den feinen Geschmack dieses kräftigen Fischfleisches und verzichtet dann aber wegen der kleinen, gabelförmigen Gräten, die im Bereich der Seitenlinie sitzen. Sie geben dem starken, wendigen Räuber zusätzliche Stabilität für seine rasanten Überraschungsangriffe. Mette bekommt ein Alternativgericht und ich darf mich an Hecht laben. Hecht satt! Es ist fantastisch! Obwohl es mittlerweile nach 10 Uhr abends ist, spürst Du kaum die Dämmerung. Bis weit nach Mitternacht ist es fast noch hell.
Der nächste Morgen empfängt uns mit leichter Brise. Im Lauf des Vormittags läßt der Wind nach und das Wasser des endlos weiten Sees liegt still wie ein Mühlteich. Ein Fischadler jagt über uns. Längere Zeit brauchen wir, bis wir ihn an seinem schrillen Pfiff an diesem strahlenden Sonnenhimmel hoch über uns ausmachen können.
Mette möchte angeln und so übernehme ich es, uns voranzubringen. Wurf folgt auf Wurf. Bald bildet sich eine Perücke aus Angelgarn, die geduldig Knötchen für Knötchen gelöst wird und wieder sirrt der leichte Blinker hinaus auf die weite Wasserfläche. „Scheiße!“, hier hängt was fest“, ruft Mette. „Soll ich helfen“ frage ich und biete an, den Köder, der sich offenbar verhangen hat, zu lösen. Während ich die Rute übernehme und die Angelschnur einhole, merke ich nicht, dass ein Fisch gebissen hat. Es ist ein Barsch. Mette ist enttäuscht, dass ich ihren ersten Barsch zum Hänger „degradiert“ habe. Auch dieser Fisch wird dankend der Bereicherung unseres Speisezettels zugeführt.
Nach diesem See folgt eine längere Portage über Land. Wir kommen an dem weltgrößten Meteoriten vorbei und setzen Fips mit seiner schmucken Schwimmweste in Borussiafarben zum „Familienfoto“ als Größenvergleich davor. Auf unserem Weg, der eine zieht vorne am Bug des Kanus, der andere stützt und schiebt hinten, um das Kanu samt Gepäck auf dem Bootswagen voranzubringen, haben wir Begleitung. Gierig werden wir von Mücken und Wadenstechern mit großen gespenstig aussehenden Facettenaugen verfolgt. Sie wollen unser Blut, auch wenn sie mehrere Angriffe starten müssen. Sind wir schneller, bezahlen sie mit ihrem Leben. Sind sie mit ihren blitzartigen Attacken erfolgreich, sind das Ergebnis juckende Quaddeln. Der nächste Einsetzpunkt für den nächsten See ist nicht ganz so einfach zu finden. Aber bald ist auch diese Aufgabe gelöst und wir paddeln über einen lang gezogenen, an den Ufern stark verkrauteten See. Es riecht förmlich nach Hecht und Barsch. Auch Elche könnten hier im Uferbereich zu erwarten sein.
An einer Krautbank geht ein weiterer Barsch an den Hacken und kurz drauf im Freiwasser des Sees hat sich mit heftigem Ruck wieder ein Hecht den Blinker gegriffen. Immer wieder überraschend und eindrucksvoll sind die Angriffe dieser Räuber. Wie mag es wohl einem der kleinen Schwarmfische gehen, wenn sie aus dem Hinterhalt von diesem geschuppten Torpedo überfallen werden? An ein Entrinnen ist kaum zu denken. Leider ist dieser malerische See bald zu Ende, doch bevor wir an den Ausstieg kommen, gleitet vor uns elegant ein Biber ins Wasser. Diese Portage führt uns über eine Schotterpiste durch dichten, jungen Laubwald. Die Hunde sind wie elektrisiert. Ständig wittern die feinen Nasen und holen sich Wind. In unmittelbarer Nähe muß Wild stecken. Nur zu sehen bekommen wir nichts. Leider!
Es ist schon relativ spät, als wir hinter einem kleinen Dorf unser Kanu wieder zu Wasser lassen. Bald sollten wir eine Bleibe für die Nacht finden. Inseln bieten sich hier nicht an, aber das breite Sandufer ist ebenfalls geeignet. Feuer anzünden, allein schon wegen der Mücken, Zelt aufstellen, Lager herrichten, Hunde versorgen und die Vorbereitungen für das Nachtmahl treffen. Manchem wäre es bald zu eintönig: Doch schon kurz drauf brutzeln an Weidenstecken die beiden Barsche. Der Hecht wird wieder filettiert und in Öl gebacken. Für küchentechnische Raffinessen haben wir auch nicht die passende Ausrüstung dabei. Während sich die Hunde über die Barsche hermachen – Dackel Fips knackt genußvoll auch die Fischköpfe - gibt es wieder Hecht satt. Bald schicken uns Müdigkeit und Mückenplage in die Schlafsäcke. Kein Laut stört die Stille als wir in verdienten Schlaf sinken.
Wohl leben Menschen hier in dieser spärlich besiedelten Gegend, aber davon bekommen wir kaum etwas mit und deshalb findet die Morgentoilette auch wie Gott uns schuf im See statt.
Der Wind legt sich. Wir paddeln eine frühmorgendliche Runde über den See. Das Wasser liegt blank wie in einem Wasserglas. Umso eindrucksvoller wird das lebhafte Wolkenbild im Wasserspiegel verdoppelt und vertieft den Eindruck majestätischer Weite dieses Landes. In unmittelbarer Nähe des Kanus können wir die kleinen Wellen nicht verhindern, die unsere Paddel erzeugen, aber schon ein paar Meter weiter weg liegt die große Wasserfläche wieder völlig unberührt. Es sind immer wieder diese Bilder der stillen schlichten Größe, die das Göttliche in diesem Erleben für einen kurzen Moment erhaschen lassen. Danach überspült der Alltag diese Eindrücke und nimmt Dich wieder mit Unwesentlichem gefangen.
Bald ist das Lager abgebaut, Kanu beladen und Hunde eingestiegen. Unser Lagerplatz hat also fast wieder seine jungfräuliche Unberührtheit zurückbekommen - bis auf den Gänsekot, der schon vor uns hier war. Eine leichte Brise wirft kleine Krüsselwellen auf unseren „Mühlteich“ und alles Geheimnisvolle von vorhin ist wie verwischt, als hätte es das nie gegeben.
Zwischen großen Findlingen hindurch, die in diesem Jahr bei diesem geringen Wasserstand oft bedenklich nah unter der Wasseroberfläche liegen und vielfach auch erst auf die letzten Meter zu erkennen sind, nehmen wir unseren Weg entlang des Seeufers. Die Portage, die sich an diesen See anschließt, gibt wieder einmal Einblick in einen völlig anderen Landschaftstyp: kleine Bruchwaldinseln aus Birke und Aspe wechseln ab mit offeneren Bereichen und vereinzelten Kiefernkümmerlingen. Der Baumwuchs hier ist nicht hoch. Der boreale Einfluß ist deutlich zu sehen. Ich stelle mir vor, wie es hier zum Ende des Winters zugeht, wenn die Tage nach dem lange trüben Winter wieder länger werden und die wärmende Sonne die ersten Flecken ausgeaperter Vegetation freigibt: Dann müßte hier in dieser tauwasserübersättigten moorigen Landschaft die lückige Schneedecke von kollernden und girrenden pechschwarzen Birkhähnen voll sein, die um ihre Hennen buhlen. Typischer könnte diese Landschaft nicht sein! Ausgetrocknete Losung, die an Hund erinnert, genauso aber auch von dem wilden Urahn stammen könnte, regt uns zu Nachdenken an. Wir wissen es nicht. Es ist auch müßig, denn vereinzelt treffen wir immer wieder auch auf menschliche Spuren, in deren Begleitung Hunde sein können. Schließlich leben und reisen wir auch so. Die Frage, ob Wolf oder Hund, bleibt ohne Antwort.
Wir sind froh, als unser Kanu wieder beladen auf dem Wasser liegt. Hier haben wir das Glück, einen der schönsten Seen unserer ganzen Tour erleben zu dürfen. Da ist zunächst und beherrschend die Himmelszenerie: Zur Feier des Tages hat sich ein dramatisches Wolkenspiel eingestellt. Es paßt perfekt zum fast spiegelblanken See. Egal, wohin Du schaust, sowohl der See als auch der Himmel sind Dir im Blick. Das eine Ufer ist bewaldet. In den Buchten gibt es ausgedehnte Verlandungszonen. Äsungsbereiche für Elch? Am nächsten Morgen wollen wir früh aus den Schlafsäcken kriechen und die Gunst der frühen Stunde nutzen. Aber vorerst ist es Nachmittag, wir können uns noch einen malerischen Lagerplatz suchen und vielleicht schon heute Abend noch in den Abend paddeln. Es klappt: Auf einer kleinen Insel finden wir alles, was wir brauchen: Eine ebene Stelle, um das Zelt aufzustellen mit ungestörtem Blick aufs Wasser, genügend Feuerholz und einen geeigneten Platz zum Anlanden. Zur Einstimmung auf den kommenden Tag wird ein wunderschöner Sonnenuntergang inszeniert und heute gibt es – es liegt ja kein Fisch an – ein schmackhaftes Essen aus unserem Trockenfundus, zubereitet über dem Feuer. Dazu eine Dose Bier, mehr gibt es nicht pro Nase. Unsere Vorräte neigen sich dem Ende zu. Dafür gibt es zum Nachtisch noch einen Schluck Wodka aus der Pulle. Was habe ich gelästert, wozu Mette den Wodka bloß eingekauft hat! Heute bin ich dankbar, dass er dabei ist und unsere Verpflegung bereichert. Mette, entschuldige bitte meine Lästerei!
„Georg, los Du Faultier! Aufstehen!“ Ich weiß nicht, wo mir der Sinn steht, als Mette mich unbarmherzig aus dem wohlig kuscheligen Schlafsack schmeißt. In der Beziehung ist sie wirklich gnadenlos. Aber als sie das Zauberwort ausspricht „Komm, laß uns paddeln. Vielleicht sehen wir Elche!“, stehe ich auch schon auf den Beinen. Nein, für einen Kaffee läßt sie keine Zeit. Bald sitzen wir im Kanadier und gleiten in eine stille Wasserwelt, hier und dort geziert in der Frühmorgenstimmung mit kleinen Frühnebelpäckchen. Die schräg stehende Sonne taucht Felsen im Wasser in ein lichtes sandsteinbeige vor der silbrigblau übernebelten Wasserfläche. Wir paddeln entlang der Buchten und schleppen einen kleinen Blinker hinter uns her. Elche sehen wir keine, an diesem herrlichen Morgen, unserem Hochzeitstag, aber wie zur Feier des Tages beißen die Barsche gut. Den kleinen geben wir die Freiheit wieder, zwei große nehmen wir mit. `Frisch über dem Feuer gebratener Flußbarsch´ erscheint ein Bild vor dem inneren Auge. Aber erst einmal führen uns gleichmäßige Paddelschläge in einer weiten Runde um den ganzen See herum.
Den frischen Fisch teile ich beim Frühstück mit den Hunden. Mette lehnt dankend ab. Also: Ein Happen für Georg, ein Happen für Artos und einer für Fips. So geht es reihum. Fips verzehrt noch zum Schluß die Fischköpfe. Artos steht mehr auf grätenfreiem Filet.
Heute steht ein langgezogener See auf unserer Route. Bei der Portage werden wir belagert von grünäugigen, aggressiven Wadenstecher, die nach unserem Blut trachten. Auch dieser See führt deutlich weniger Wasser als üblicherweise. Die Spuren emsigen forstlichen Wirtschaftens ziehen sich am Ufer längs und hin und wieder schaut wie ein Farbtupfer eine einsame Hütte aus dem dichten Grün.
Unser Lager an diesem Abend schlagen wir auf einer Halbinsel auf. Bald steht das Lager, das Feuer brennt und für den Abend und den nächsten Morgen haben wir auch genügend Holz. Jetzt können wir unseren Hochzeitstag feiern. Von Süden ziehen graublaue Wolken in bedrohlichen Türmen auf. Der Wolkenzug geht quer dazu. Ob das Gewitter vorbeizieht? Hier oben sind wir uns manchmal nicht sicher, ob wir den Wolkenzug auch richtig deuten. Mette stellt unser heutiges Hochzeitsessen zusammen: Wiener Würstchen - zwei Stück pro Nase - dazu ein Brötchen, Ketchup und getrocknete Zwiebeln. Dass dies ein Campingburger werden soll, fällt mir erst gar nicht auf. Mette bittet mich, heute zu Kochen. Ich habe gerade die Würstchen im warmen Wasser als sich die Zeichen von oben auf Sturm wenden! Hastig bekommen wir gerade noch das Notwendigste ins Zelt oder zumindest unter das Vorzelt und sind mitsamt der Hunde im Zelt verschwunden, als die ersten Blitze leuchten. Krachend poltern die Donnerschläge. Sturmböen zausen die Bäume um uns und bald prasseln die ersten Regenböen klatschend auf die Zelthaut. Nun gut! Wir sitzen im Trockenen mit einem großen Hund, der sich maßlos vor Gewitter fürchtet, große Tropfen Speichel tropft und mit seinem warmen Atem die Schwüle des kleinen Zeltes noch weiter einheißt. Dazu unser frugales Hochzeitsmahl und das Naturschauspiel, wie eigens für diesen Anlaß komponiert! Imposanter hätte es nicht mehr kommen können: Dieser Hochzeitstag, der so malerisch begann und so dramatisch endete, wird unvergeßlich werden!
Der nächste Morgen zeigt sich wieder völlig entspannt. Wölkchen ziehen vorbei als sei nichts passiert. Heute paddeln wir dem Ende dieser Tour entgegen. Nach dem letzten See laufe ich mit Artos los, das Auto holen. Der Rüde läuft im lockeren Schritt neben mir, als wir ein Waldstück queren. Plötzlich verspannt sich sein Schritt und ich merke ihm an, dass er aufmerksam und wachsam gespannt ist. Hat er seine wilden Ahnen in der Nase? Sie sind dort, wo auch ihre Beute ist. Und wir sind wieder ganz in der Nähe vom Dorf Tyngsjö. Caren berichtete, sie hätte nach dem Winter über immer wieder zwei Elchkälber ganz in der Nähe des Dorfes gesehen.
Das habe ich jetzt richtig gern gelesen. Vieles erinnert an eigene Touren, obwohl ich noch nie im Norden Europas unterwegs war. Anregung ist der Bericht allemal, danke.
ja, Tyngsjö kenne ich: unser erster Schwedenurlaub ging 1987 dahin. Für uns war es das "Nirwana". Schon die lange Anfahrt von Göteborg, kurz hinter Hagfors als Schotterpiste, kam uns damals unglaublich vor. Wir hatten in der Vorsaison, Ende Mai, eine kleine Hütte für 210 DM für zwei Wochen gemietet. Meine erste Forelle habe ich da gefangen. Die Ausrüstung hatte ich von einem Studienkollegen und "Null Ahnung". Der Sohn des Hüttenbesitzers (dessen Namen weiß ich nicht mehr, der Besitzer der Hüttenanlage hieß Bror) hat uns gezeigt, wie man eine Angel richtig auswirft. Kurz danach hatten wir unseren ersten Fisch ;-). Meine erste Kreuzotter habe ich beim Wandern rund um Tyngsjö auch gesehen. Außerdem hat mir Bror beigebracht, wie man Frühlingslorchel isst, ohne daran zu sterben. Dreimal richtig kochen und das Kochwasser jeweils wegschütten (auf eigene Gefahr!!!). Wir haben etliche Kilo aus dem Wald geholt und uns haben sie gut geschmeckt. (Für Bootstouren wären sie allerdings nicht, soviel Gas habe ich nicht dabei!). Ich habe neulich übrigens den Kanuführer für Schweden von Marie-Luise Schwarz (war lange Jahre Chefredakteurin bei NORDIS) geschenkt bekommen. Da ist auch eine schöne Tour rund um Tyngsjö beschrieben. Wir werden wohl mal wieder hinfahren. Danke für den schönen Bericht
Moin, Godi hat mich auf Deine Tour aufmerksam gemacht, meint es wäre dort hübscher als der Glaskogen. Will da am 16 Mai 12 hin für 1 Woche. Da gibt es ja mehrere Startplätze, wo ich einen Nacht bleiben würde vor dem Start
Du warst wohl dort: Adventure Center Tyngsjö • Tyngsjövägen 19 • 78054 Äppelbo • Sverige Haben die Hütten ?, Soweit ich das sehen kann, liegen Sie etwas weiter vom See weg. Habe folgende Tour vor. Tips ?
das Beste wird wohl sein, wenn Du Dich mit Karin und Edwin von Adventure Center Tyngsjö abstimmst. Die haben unterschiedlich lange Touren ausgearbeitet, die man alleine fahren kann und die Euch gegen einen Obulus gerne Kartenmaterial überlassen. Hütten gibt es nur bei ihnen in Tyngsjö. Ansonsten lebt die Tour davon, dass keiner Spuren hinterläßt. Umso schöner bleibt es dann langfristig...
Als wichtigen Tip würde ich dringend einme kleine Spinnrute mitnehmen. Wir haben mehrere leckere Hechte gefangen. Ein Müllsack, um seine Abfälle mitnehmen zu können, ist auch wichtig. Ihr seid ansonsten auf den Touren völlig auf Euch gestellt, aber per Mobiltelefon nicht von der Welt abgeschnitten.
Hier die Kontaktdaten von Karin und Edwin, die beide deutsch sprechen: info@adventture-centertyngsjo.com, Telefon 0046(0)281-40022.
Und herzliche Grüße von Anne und Georg!
Euch viel Spaß, eine schöne Zeit und ein fröhliches Wiedersehen! Georg (orion)
ziemlich unmittelbar am See (nur durch die Ortsstraße getrennt, die aber kaum befahren ist ;-)) liegt Tyngsjö Vildmark - Camping, Stugby, Outdoor (http://www.tyngsjovildmark.com). Die haben auch einige Hütten von 2-8 Personen. Außerdem sind sie eine "Kanotcentral". Ich erinnere mich, dass wir damals vom Hüttenfenster eine wunderschöne Aussicht nach Süden über den Tyngsjö hatten.