Lange habe ich überlegt ob ich das überhaupt, und wenn doch, wo ich es einstellen soll. Nachdem es mir aber bei der Aufarbeitung hilft, schreibe ich es wieder hier rein, denn es handelt sich doch um denselben Fluss wie in der Kurzgeschichte "Erste Fahrt mit Filius": die Traun im mittlerweile "Natura 2000" Gebiet in Oberösterreich.
Die Krönung des Tages war diesmal aber nicht die Natur oder meine Muurikka Grillerei, sondern der sicherheitstechnische Supergau ein paar Stunden später.
Vom Wetterbericht wussten wir wohl, dass es "gegen Abend" zu einem Kaltlufteinbruch und zu Regenfällen mit Gewitterneigung kommen könnte, aber auf die Hölle welche dann innerhalb von Minuten losbrach, war ich nicht gefasst. Gegen 17h30 wollten wir die Fahrt heimwärts antreten, mein älterer Sohn und jede Menge Gepäck diesmal mit von der Partie. Just beim Einsteigen ins Kanu stach ihn eine Wespe in die Augenbraue – seine erste Wespe und man kann sich vorstellen, wie ein knapp 4 jähriger darauf reagiert. Beim Versuch ihn zu beruhigen, denn meine Frau mit Kinderwagen und Säugling und meine Schwiegermutter waren bereits 5min zuvor zu Fuß aufgebrochen, verwandelte sich der Himmel von bislang azurblau in stahlgrau und Wind kam auf. Erklärend sei an dieser Stelle angemerkt, dass das tief eingeschnittene Flusstal und der dichte Wald bis oben hin einen nur sehr begrenzten Ausblick auf den Himmel gewähren.
Zurück zum Sohnemann. Ein nasses Handtuch linderte den ersten Schmerz und als ich ihn dann in die Bootsmitte auf eine dicke Matte hievte, weinte er zwar noch, aber er setzte sich immerhin brav in Bootsmitte und in Fahrrichtung hinter meinem Paddelpartner. Also abgestoßen vom Ufer und angepaddelt. Beiläufig wandte ich mich um und da wäre mir beinahe das Paddel aus der Hand gefallen. Schwarzblauer Himmel und scheinbar dicht über den höchsten Bäumen dahinfegende schneeweiße Wolkenfetzen und ein zeitgleich von oben durch das Flusstal laut aufbrausender Sturm, ich habe so etwas noch nie erlebt. Binnen einer halben Minute schien das Wasser zu kochen, der Wind peitschte den an dieser Stelle höchstens 30m breiten, seichten und schnell fließenden Fluss in Fließrichtung (!) zu Wellen mit Whitecaps auf, links und rechts ächzten die Bäume, eine riesige Fichte in Ufernähe wurde entwurzelt und krachte mit solch dumpfem Schlag zu Boden, dass es sogar im Boot fühlbar war. Wir schlugen ein unbarmherziges Tempo an und passierten die im Bericht zuvor genannte knackige Stelle in bedenklich hohem Tempo. Dann kam der Regen. Der Superlative an diesem Tag nicht genug, kam das Wasser nicht in Tropfen, sondern als Wasserwand. In solchen Situationen eine Zeitspanne abzuschätzen ist schwierig, aber es dauerte gefühlt keine 2 Minuten ehe das Wasser so hoch im Boot stand, dass es meinen Sohn bis zur Hüfte reichte und es zu deutlich trägerem Verhalten bei Gewichtsverlagerung führte.
Volle Kraft voraus sollte nicht reichen. Von der Terrassentür aus beobachtet mag es ein beeindruckendes Schauspiel sein wenn gleißend helle Blitze die Dunkelheit erhellen und sich Donner hinzugesellt. Wenn aber Blitz und peitschender Donner nahtlos ineinander übergehen und man sich ohnehin schon in einer kritischen Situation am Wasser befindet, ist Schluss mit lustig. Ich wusste was das Fahren im Canadier betrifft noch nicht wozu man fähig ist wenn man von der Not getrieben wird, aber unser nun angeschlagenes Tempo dürfte rekordverdächtig gewesen sein. Trotzdem schafften wir es nicht, bzw. hatte ich zu große Angst, vom Blitz getroffen zu werden. Hinzu kam ein mittlerweile sichtbar schlotternder und in sich zusammengesunkener Filius im Wasser in Bootsmitte. Also mit Volldampf rauf auf die nächste Schotterbank.
Raus und weg vom Boot und vom Wasser. Gut gemeint bei einer Schotterbank von 10m Breite und dahinter steil aufragendem Wald und sintflutartigem Regen. Das letzte große trockene Badetuch um den Sohn gewickelt, Schwimmweste zum Isolieren darüber, ihm meinen Paddelhut aufgesetzt, denn der ist wirklich wasserdicht. Eine andere Unterlegsmatte machte ein provisorisches Regendach, zumindest für den Kleinen. Gut zugeredet, wie tapfer er ist, etc. Das Gewitter schien infolge des Sturmes rasch weiterzuziehen und die Dunkelheit lichtete sich etwas, zu Beginn der Fahrt dachte ich noch die Sonnenbrille aufzuhaben, so finster wurde es. Das Gewitter ging, der Sturm und der Regen blieben. Nach 10min Wartezeit setzten wir dann die Fahrt fort, die letzte Flusskurven und Endspurt, das Anlanden war eine Erlösung, meine Frau wartete bereits sorgenvoll mit dem Auto, Sohn rausgewuchtet und in warme Decken eingeschlagen, Gepäck rausgeworfen, das Canoe etwas weniger sorgsam als gewohnt an Land gezogen. Adrenalin allgegenwärtig spürten wir die Kälte nicht, wir waren nur mit Badehose und Schwimmweste bekleidet. Das Außenthermometer im Auto blinzelte mir 13°C entgegen, beim Wegfahren waren es 32°C sagte meine Frau. "Ist ja eh nichts passiert" sagte sie im Anschluss. Ja, und ich danke dem großen Schöpfer dafür. Diesmal.
Was lernt man(n) daraus?
Auch ein gut ausgerüsteter und "Outdoor" - erfahrener Mann kann jederzeit, scheinbar inmitten der Zivilisation und nur wenige Kilometer von Zuhause entfernt auf seiner geliebten Hausstrecke (oder gerade deshalb?) in eine lebensbedrohliche Situation gelangen, ohne Aussicht auf rasche Rettung, denn es waren zu dem Zeitpunkt keine "Zeugen" mehr unterwegs. Und auch ohne Chance auf Kommunikation, denn in dem Flusstal existiert kein Handyempfang und selbst wenn das Telefon ginge: wer sollte da rasch helfen? Wenn der Blitz einschlägt sind ohnehin 3 Personen Geschichte.
Dennoch: eine grellfarbene Regenhaut ist ab jetzt fixer Bestandteil (die Alurettungsdecke im Erste Hilfe Päckchen erschien mir kontraproduktiv bei Gewitter am Wasser), und die Suunto fürs Handgelenk, welche mich schon zuverlässig im Hochgebirge begleitete, sollte auch am Wasser gute Dienste leisten!
Den massiven Muskelkater im Bauch, den Armen und seitlich an den Rippen, welcher bis Mittwoch anhielt, sehe als gerechte Bestrafung für meinen Leichtsinn.
Wer mir seine Meinung schreiben will – ich würde mich freuen.
Wow, heftige Nummer!! Auch ohne Euch zu kennen, bin ich froh, das Du noch fähig bist, das Erlebte hier aufzuschreiben! Nicht nur um Euretwillen, sondern auch als Denkanstoss für andere und wünsche dem Filius gute Besserung.
Wenn ich das richtig verstehe, war das Auto in der Nähe der "Badestelle" und die 3 Autofahrer sind dann zur Ausstiegsstelle gefahren? Deshalb meine Frage (ohne jeden Vorwurf!!): Warum ist keiner von Euch denen hinterher gelaufen, zumindest bis zum Ende des Funklochs, um sie zurück zu holen/zurück zu telefonieren?
Zitat von Atze69 Wenn ich das richtig verstehe, war das Auto in der Nähe der "Badestelle" und die 3 Autofahrer sind dann zur Ausstiegsstelle gefahren? Deshalb meine Frage (ohne jeden Vorwurf!!): Warum ist keiner von Euch denen hinterher gelaufen, zumindest bis zum Ende des Funklochs, um sie zurück zu holen/zurück zu telefonieren?
Wie geschrieben sind die "Fußgänger" 5 min vor unserer Abfahrt weggegangen. Gehzeit bis Auto ca. 5 bis 10 min. Das ist der einzige Ort, an dem man dort zu Fuß hinkommt. Als wir in die erste brenzlige Situation kamen waren wir längst mitten am Wasser in schneller Strömung, 8min später und sie für uns geografisch unerreichbar. Ende des Funklochs ist nicht. Es ist dort auf einigen Kilometern kein Empfang und auch kein Hinkommen zu Fuß!
Das ist ja schon recht starker Tobak. Gut, dass Ihr letztendlich unbeschadet davon gekommen seid.
Ich meinte, wir hätten hier schon mal über das Verhalten auf dem Wasser bei Gewitter diskutiert, kann aber beim ersten Suchlauf nur "Tipi und Gewitter" finden (das ist immerhin eine Spur spannender als "Bratpfannen bei Blitz und Donner" oder "Blitzenergienutzung mit dem Dutch-Oven"...).
Ich habe gelernt, dass bei aufziehendem Gewitter die Wasserfläche zu verlassen ist und Schutz am Flussrand zu suchen ist. Unmittelbar. Größere Gruppen teilen sich auf und stellen sich nicht alle unter den gleichen Baum. So wie Du die Uferbeschaffenheit beschreibst wäre das eher schwierig aber nicht unmöglich gewesen. Als wir am Schwarzen Regen mal von einem Gewitter überrascht wurden haben wir uns auch auf der steilen Uferböschung im Wald verteilt. In voller Wildwasserausrüstung ist das auch nur eine Geduld- und Nervensache. Wenn erst mal Bäume um mich herum umstürzten geriete ich auch in Panik.
Ich glaube Du hast da nichts entsetzlich falsch gemacht aber es wäre ebenso ratsam gewesen die Fahrt frühzeitig abzubrechen, vom Wasser zu gehen und abzuwarten (auch auf Kosten der Wartenden).
Hi Ulme, ich denke, Blitze müßten in Eurer Situation eher höhergelegene Ziele finden, aber wenn Bäume umfallen hört wohl jeder Spaß auf. Ein Alptraum. Auch das ist "Outdoor" - beginnt vor der (Auto-) Tür und ist life!
Tips dazu?
Erfahrung hilft - etwas - vielleicht - hoffentlich, dennoch gibt es keine absolute Sicherheit
Hinterher ist man wie so oft im Leben gescheiter. An sich eine schöne Sache, wenn man daraus nachhaltig etwas ableiten kann. Anstelle die erste Schlüsselstelle in wahnwitzigem Tempo zu durchmessen wäre anlanden, aussteigen und Zuflucht im Wald zu suchen an dieser Stelle besser gewesen. Es gibt da auf halber Höhe im Wald ein kleines Plateau ohne Baumholz, lediglich aufgeforsteter Bestand. Die Gefahr dort von einem Baum erschlagen zu werden ist gering. Jedoch: da war noch kein Gewitter und wie so oft im Leben denkt man(n) in solchen Situationen: das geht sich vielleicht doch noch aus!
Für die Zukunft bin ich wie gesagt gewappnet. Eine Regenhaut oder vielleicht doch so etwas: http://shop.nutscreek.com/-Outdoorshop/S...Sheet-2948.html nimmt keinen Platz weg, und besser zu früh aussteigen als zu spät soll ab nun meine Devise sein.
Wir packen bei Touren (eigentlich) immer ein Tarp ganz obenauf. Man kann ein Tarp ja durchaus schon mit nur einem Baum/Stange gut aufspannen - Im Trockenen zu sein, hebt die Moral ungemein...
Unsere Ausflüge, bei denen wir auch das 'eigentlich nötige' nicht mitgenommen haben und die sich dann doch ganz anders entwickelt haben, sind bisher zum Glück alle deutlich weniger spektakulär verlaufen als von Dir geschildert. Danke fürs Wachrütteln...
schocking Deinen Bericht zu lesen, zum Glück ist Euch nichts passiert. Beim Lesen sind mir einige Erinnerungen an brenzlige Situationen hochgekommen, aber sowas habe ich am Wasser noch nicht erlebt. Wie geht es Deinem Filius?
Schön, das alle wohlauf sind. Und genau deshalb wage ich mal etwas ketzerische, aber konstruktive Gedanken:
Was war denn jetzt so gefährlich? Anfangs dachte ich, die Geschichte liefe auf einen anaphylaktischen Schock hinaus. Das war ja nun gottseidank nicht der Fall. Die Gefährdung durch Blitzschlag ist in einem Kerbtal extrem gering. Auch und gerade auf einem Bach, der von Bäumen gesäumt ist. Ein metallischer Gegenstand zieht keinen Blitz an. Du hättest deinem Kurzen ruhig die Rettungsdecke umwickeln können. Wenn man das quasi unmögliche auf die Spitze treiben wollte, könnte man sagen, er sei durch diesen faradayschen Käfig noch zusätzlich geschützt. Wind: Gefährlich. Sehr gefährlich. Umstürzende Bäume sind der Horror, und der Sound, den der Bruch erzeugt, beruhigt nicht gerade. Konsequenz sollte sein, sich eine geschützte Ecke zu suchen. Was vor Ort zugegebenermassen selten leicht ist. Unterkühlung: Ja klar, so ein kleiner Mensch hat eine wesentlich geringere Kapazität als ein 85Kg-Mann. Bei einem ungünstigeren Volumen/Oberflächenverhältnis. Insofern muss man da drauf achten. Aber: Ich unterstelle mal, dass es schon etwas länger braucht, bis so etwas tatsächlich gefährlich wird- womit ich Konsequenzen meine. die deutlich über einen dicken Schnupfen hinaus gehen. Noch mal: Ich möchte dich nicht angreifen oder gar mich über dich lustig machen. Im Gegenteil. Wenn man in kniffeligen Situationen war, ist es nur schlau, diese hinterher zu analysieren. Denn nur dann kann man es beim nächsten Mal besser meistern.