Ich habe zum Stichwort "Hörner" hier keine passenden Treffer gefunden, deshalb mache ich mal eine Frage auf:
Traditionelle "Indianerkanus" und auch die der Voyageurs werden i. d. R. mit ausgeprägten "Hörnern" an Bug und Heck dargestellt, und auch heute noch von manchen Herstellern so produziert. Bei anderen Herkunftsländern und "modernen" Formen fehlen diese, Bug und Heck laufen in Verlängerung des Süllrands ziemlich eben aus. Woher kommen diese Hörner; ist das ein konstruktiv bedingtes Merkmal, oder hat es einen praktischen Nutzen?
Ein mir bekannter Nachteil ist die wohl größere Anfälligkeit für Seitenwind. Als Vorteil kann ich mir vorstellen daß sich das Boot dann besser auf der Seite liegend als Wind- und Wetterschutz im Lager einsetzen läßt.
Hallo, weiß ich auch nicht. Aber Thor Heyerdahl hat bei seinem Papyrusboot Ra 1 die auf Steinreliefs deutlich erkennbaren hochgezogenen Enden weggelassen. Dieser "Zierrat" erwies sich aber als wesentlich für die Festigkeit des Rumpfes. Nun bestand ein indigener Canadier nicht aus Gras, aber aus Naturmaterialien. Evtl. hatten manche Erbauer nur Hölzer zur Verfügung, bei denen der Bootskörper durch hochgezogene Bögen stabilisiert werden mussten (Bogen = Spannung). Das könnte auch die unterschiedlichen Bauweisen je nach Region erklären.
Moin Murphy, nur Halbwissen von mir: Bei den großen Transportcanadiern wurde ja mit den gleichen Materialien, wie die Indigene verwendeten, gebaut. Die Lasten lagen aber eher bei 1 Tonne und mehr. Also mußte irgendwie die Gewichts-/Kraftverteilung in das ja nicht belastbarere Material eingeleitet werden. Da ergeben sich in Bug und Heck nötige längere Verbindungs/Montagewege der Rechts- und Linksweger? Viele Grüße docook
Meines Wissens entstanden die hochgezogenen Steven auf Wunsch der weissen Nutzer und waren auch von den seegängigen Kanus ,z.B. der Passamaquoddy abgeschaut. Hatte einerseits den Effekt, bei hohen Wellen Trocken zu laufen und außerdem konnte man unter den umgedrehten Booten wunderbar das Nachtlager aufschlagen.
Anlässlich eines Besuchs im Fort William Historical Park in Thunder Bay, Ontario hatte ich die Gelegenheit mit einem der Bootsbauer im "Canoe Shack" zu sprechen. Dieser gab als Grund für die hochgezogenen Steven an, dass das Kanu bei hohem Wellengang trocken läuft. Er wies auch darauf hin, dass ein vollbeladenes Kanu relativ tief im Wasser lag, wesentlich tiefer als zum Beispiel im Bild "Shooting the Rapids" von Francis Anne Hopkins dargestellt (siehe erster Post von murphy). Der "Gouvernail" (hinten im Kanu) und der "Avant" (im Bug) entschieden jeweils ob sie eine Stromschnelle befahren oder umtragen. Bei einer Befahrung flussabwärts wurde meist mit voller Kraft voraus in die Schnelle gepaddelt. Bei eher beschränkter Manövrierbarkeit eines so grossen und schweren Kanus wurden sie oft in die hohen, stehenden Wellen getragen wo ein hochgezogener Steven durchaus hilfreich ist. Den meisten Wellen aber hätten die Voyageurs auf den Seen trotzen müssen.
Und wenn ich richtig erinnere schreibt Ted Moores in Canoecraft als Erklärung für die Hörner zum Einen das Fahren auf wilden Flüssen, zum Anderen das Fahren auf der Hochsee. Beides Situationen mit u.U. ordentlicher Bewegung des Canoes. Die Hörner sollen das Übernehmen von Wasser hintanhalten.
Zitat von Aslowhand im Beitrag #7[...] Bei einer Befahrung flussabwärts wurde meist mit voller Kraft voraus in die Schnelle gepaddelt.[...]
Das erscheint mir sehr unwahrscheinlich.
Ich gebe nur weiter was der Kanubauer mir im Zusammenhang mit den hochgezogenen Steven gesagt hat. Weder er, noch ich waren damals dabei.... Aus heutiger Sicht erscheint manches, was vor Jahren Standard war, überholt oder gar unsinnig. Ich glaube das nennt man dann Entwicklung und Fortschritt....
Zitat von gast im Beitrag #9[quote][...] Übernehmen von Wasser hintanhalten
. Ich frage mich, ob die Leute, die das behaupten, tatsächlich jemals in Wellen paddeln, aber leider hilft so eine Bugform nicht viel.
Auf der Hinfahrt war der Attersee friedlich:
Auf der Rückfahrt bei ordentlich Wind und ordentlich Wellengang war ich über jeden Zoll Bughöhe mehr als dankbar. Während die Segler kreuzen mußten um wenigstens einen Meter zu gewinnen sind wir da gerade durch und haben trotz Bugerhöhung gut Wasser aufgenommen. Bilder in der Situation gibt's nicht - wir hatten auch so schon genug zu tun.
@Dipol Tolle Grafik! Aus welcher Quelle kommt die?
Zitat von ronald im Beitrag #3Aber die ersten Kanubauer fanden auch: "Oha, schaut ja cool aus!"
Nachdem so ein Horn mehr Material, Aufwand und Gewicht bedeutet halte ich das irgendwie nicht für einen ausreichenden Grund - war ja kein Freizeitdampfer...
Zitat von Tosch im Beitrag #4Thor Heyerdahl hat bei seinem Papyrusboot Ra 1 die auf Steinreliefs deutlich erkennbaren hochgezogenen Enden weggelassen. Dieser "Zierrat" erwies sich aber als wesentlich für die Festigkeit des Rumpfes.
Wenn Wikipedia richtig liegt sind aufgrund des fehlenden hochgezogenen Abschlusses größere Mengen Schilf verloren gegangen, bis das Schiff aufgegeben werden mußte. Wenn sowas beim Canadier passiert ist was richtig schief gelaufen ;-) Generell habe ich Zweifel ob sich die Hörner beim OC funktional direkt mit den Steven eines Segelschiffs vergleichen lassen.
Zitat von docook im Beitrag #5Also mußte irgendwie die Gewichts-/Kraftverteilung in das ja nicht belastbarere Material eingeleitet werden.
Kraftverteilung des Biegemoments hört sich jedenfalls gut an, und auch halbwegs plausibel. Ob das eine Rolle spielt kann ich aber nicht beurteilen.
Die hochgezogene Sheerline zu den Enden hin ist deshalb nützlich, weil man dann prima zum Schlafen unter das "Zeltdach" des Kanus kriechen konnte. Mittlerweile hat sie nur noch optisch ästethische Gründe, da niemand mehr unter dem Kanu schläft. Ganz im Gegenteil, sie stört bei Wind und bietet größere Angriffsfläche, was sehr störend sein kann.
@Murphy die hab ich auf Facebook gefunden, leider ohne Quellenangabe. Die Mischung aus englisch und schwedisch lässt mich vermuten, daß sie relativ alt ist. Spannend in Zusammenhang mit diesem Thread finde ich dabei die Tatsache, daß es durchaus Boote ohne "Hörner" - siehe die beiden "Havskanots" (Meereskanus), aber auch die Einbaum-Canadier der Nootka am Pazifik. Ich gehe davon aus, daß die verschiedenen Bootsformen angepasst sind an die Gewässer und den Verwendungszweck. Dabei ist, wie Martin Strauß schreibt, darunter schlafen einer davon. Auch der Birkenrinden-Bootsbauer Steve Cayard nennt dies als Funktion von hohen Vor- und Achtersteven. Insgesamt eine lesenswerte Seite mit interessanten Fotos, auch wenn es hier um Canadier ohne "Hörner" geht.
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Das Bild im ersten Beitrag ist 1879 von Hopkins gemalt worden, die schon 1870 nach England zog. Es ist also nicht als "photographisch" ein zu ordnen. Die Bug- und Hecksteven sind vermutlich viel zu hoch gezeichnet, ebenso die Höhe der Wasserlinie. Adney und Chapelle haben in ihrem Buch "Bark Canoes and Skin Boats of North America" diese Bauweise beschrieben. Grund für die "Hörner" dieser Fur-Trade Canoes ist die Stevenleiste, die in der Form einer 9 (im Heck) geführt ist, die Süllrandleisten sitzen in etwa der Höhe des mittleren Querstrichs der Neun. Am Bug dann halt spiegelverkehrt. Das ergibt einen elastischen aber stabilen Bug, mit dem das eine oder andere Hindernis im Wasser (z. B.: Kleiner Stamm) auch mal ohne Defekt gerammt werden kann. Die Bauform der Boote die Aslowhand in seinen Bildern zeigt ist anders. Hier wird die Stevenleiste als C nur nach oben gebogen und mit den zwei steil nach oben gebogenen materialstarken Süllrändern (siehe Bild) verbunden, die dann auftretende Kräfte aufnehmen und abfangen können. Die Konstruktion der "Hörner" dient also zuerst der Stabilität, andere Annehmlichkeiten wie Wellentauglichkeit oder Nutzung als Wetterschutz im Lager wurden dann aber auch gerne genutzt.
Zitat von Peter_Will im Beitrag #16Das Bild im ersten Beitrag ist 1879 von Hopkins gemalt worden, die schon 1870 nach England zog. Es ist also nicht als "photographisch" ein zu ordnen.
Ist bei einem Gemälde eines bewegten Motivs auch nicht zu erwarten...
ZitatHopkins completed several oil paintings that reflected her life in Canada, using her memories of the Canadian landscape and sketches she had produced while living there as references.
Zitat von Peter_Will im Beitrag #16Die Bug- und Hecksteven sind vermutlich viel zu hoch gezeichnet, ebenso die Höhe der Wasserlinie.
Wenn man sich das Bild in hoher Auflösung anschaut sieht man daß da vier Passagiere in der Mitte sitzen, eine davon vermutlich Hopkins. Ich nehme an dann waren keine größeren Mengen an Waren auf der Fahrt mit an Bord. Das war ein leichter Personentransport bei dem es mehr auf Geschwindigkeit ankam den sie zur Vorlage genommen hat, mit den typischen Booten aus jener Gegend von denen es heute keine weiteren Bildzeugnisse mehr gibt.
Die meisten zeitgenössischen Kritiker scheinen auch recht zufrieden gewesen zu sein:
ZitatIn her paintings, she portrayed in great detail the needed skills in the manoeuvring of canoes placed in romantic scenes. Her contemporary subjects displayed vivid realism. [...] Critics applauded her knack for clarity and accuracy.
Grüß euch .....ebenso die Höhe der Wasserlinie..... Allso, ich kann mir nicht vorstellen, das die Erbauer dieser Boote, eine Wasserlinie aufgemalt haben.Da ist wohl das Beplankungsmaterial angesetzt und abgedichtet. So große Birken , das es für so ein Boot reicht, gibt es nicht. Gruß Markus