Oder 2020 Ratzdorf – Mescherin Km ges. 211 Boot: Wenonah Prospector 17‘ Lewis&Clark Bicentennial Edition Paddel: Grey Owl „Das Paddel“ und Grey Owl Touring Bentshaft (die Guten bleiben zu Hause, Trekking macht zu viele Macken ) Kamera: Sony RX100 II / IPhone X
Prolog: Die Oder? „Hmm, die Oder? Naja warum nicht“, waren meist die Reaktionen auf unsere ersten Ideen Anfang des Jahres. Irgendwie zeichnete sich recht früh ab, dass dieser große Fluss an der Grenze zu Polen nicht gerade der Mainstream der Paddlerparadiese sein würde. Aber die Möglichkeit zum freien Campen, wenig Menschen und viel, viel Natur haben uns von Anfang an gereizt. Skandinavien wäre sicherlich auch schön gewesen, aber mit zwei Kindern im Alter von 5 und 6 Jahren sowie begrenztem Urlaub schreckt uns immer noch die weite Anreise, und fliegen kommt auch deswegen nicht in Frage, da wir unbedingt unser eigenes Canoe fahren wollen. Es gehört für uns aber schon seit Jahren fest mit zum Konzept, unsere Treks immer mit den Kindern zusammen zu machen, egal wieviel mehr an Logistik, Planung und Kompromissen das bedeutet, also müssen die Ziele in halbwegs verträglicher Reichweite für die (derzeit) 5- und die 6-jährige liegen. Der Zivilisation wollen wir aber möglichst entfliehen, und da bietet sich der Osten dann wirklich an. Anfang des Jahres belesen wir uns auf Flussinfo.net, in Foren und fragen uns schlau. Je mehr wir über den Fluss erfahren, desto mehr scheinen uns die hunderte unverbauter Flusskilometer an der Grenze zu Polen reizvoll, um eine schöne Tour von 8-10 Tagen zu fahren. Unser Konzept ist immer trekkinglastig. Sightseeing interessiert uns herzlich wenig, und das Campleben reduzieren wir, um möglichst viel unterwegs sein zu können. Ganz wichtig ist uns, zwischendrin kein Auto nachholen zu müssen. Wir wollen einfach viel unter freiem Himmel sein und alles, was wir brauchen, im Canoe selbst transportieren. Also Trangia und selbstgemachtes Trailfood statt frischem Gemüse im Dutch Oven, und beim Rest der Ausrüstung setzen wir auch mehr auf moderne, leichtere Ausführungen bewährter Konzepte, wie z.B. das Helsport Finnmark Lavvu. In drei wasserdichten Duffles bekommen wir alles gut ins Boot, samt Essen für 14 Tage voll autarken Trek. So sind wir maximal unabhängig und nicht auf Zwischenstopps angewiesen, es sei denn wir wollen es so. Ende Juli sind die Vorbereitungen abgeschlossen, als uns dann nochmal Horrormeldungen von Mückenplagen an der Oder verunsichern. Sicherlich war uns klar, dass Hochsommer und Fluss = Wasser immer zu einigen Handvoll Stichen pro Tag führen würde. Das können wir ab und sind auch drauf vorbereitet, ist ja schließlich nicht nur dort so. Aber bis zu 1000, und dann mit Kindern? Bei seriösen Quellen erfahren wir dann aber auf Nachfrage, dass das Problem wieder auf Normalniveau zurück sei. Darauf vertrauen wir, und Mitte August geht es dann los.
Tag 1: Ratzdorf bis Höhe Lossow, 35km, Biwak
Wir starten in Ratzdorf und lassen uns direkt am Pegel neben der Neißemündung absetzen. Da es schon spät ist, schlagen wir hier unser Camp auf und planen den Start für den nächsten Morgen. Es ist Wochenende, und auf jeder Buhne dies- und jenseits der Oder steht mindestens ein Angler. Mitten in der Nacht werden wir von lautem Streit geweckt: auf deutscher Seite ein paar hundert Meter neben unserem Camp ist bei einigen Anglern irgendetwas abhandengekommen. Schuld sollen die Polen sein, und man beschimpft sich lauthals gegenseitig bis in die Morgenstunden mit allen historischen Klischees quer über den Fluss hinweg. Wir können bei den Polen keine Boote erkennen und die nächste Brücke ist auch nicht um die Ecke, daher fragen wir uns wie das passiert sein soll. Keine Ahnung und insgesamt nicht so schön, aber auch das gehört wohl immer noch zur Realität an der Grenze dazu. Naja – wir wollen ja ohnehin weg und endlich auf den Fluss.
Morgens ist es bedeckt und mäßig warm. Da es in der Nacht abgekühlt ist, liegt Nebel und die Ausrüstung muss erst noch trocknen. So haben wir viel Zeit für Kaffee Frühstück, bis wir dann packen und uns endlich auf den Weg machen. Die Breite des Flusses und die Weite der Landschaft fesselt uns von Anfang an. Auch der Arten – und insbesondere der Fischreichtum ist beeindruckend. Überall zischen Schwärme von Jungfischen durchs flache Uferwasser, und es dauert meist keine fünf Minuten, bis ein Platschen die größeren Raubfische auf der Jagd anzeigt. Auch die Vielzahl der anderen Flussbewohner wie Larven, Muscheln und Amphibien lässt direkt auf eine hervorragende Wasserqualität schließen. Wie erhofft, lädt auf diesem Abschnitt wirklich alle paar hundert Meter entweder einen Strand oder eine Sandbank zum Halten und so können wir an einer schönen Stelle zum Mittag rasten. Der feine Sand und das lauwarme Wasser begeistert auch die Kinder.
Menschen sehen wir abgesehen von den Anglern keine. Auf dem Fluss ist rein gar nichts los. Keine Binnenschiffe, keine Yachten, keine anderen Paddler. Einmal sehen wir für kurze Zeit eine Gruppe von Jugendlichen in Gummibooten, aber die haben wir schnell hinter uns gelassen. Der Fluss gehört uns ganz allein und wir genießen die Freiheit. Auch nachmittags können wir uns wieder eine der zahlreichen Sandbänke als private Badeinsel aussuchen. Es sind nicht einmal menschliche Fußspuren im Sand, so exklusiv ist es. Das Wetter hat auch deutlich aufgeklart, und die Kinder staunen beim Baden immer noch über die vielen Tiere im und am Wasser. Eigentlich wollten wir an dem Tag in Lossow auf dem offiziellen Biwakplatz auf deutscher Seite campen, aber die gut befahrene nahe Bahntrasse sowie der morbide Charme der eingestürzten Altbauten lässt uns umentscheiden. Ein paar hundert Meter weiter ergibt sich eine prima Zeltmöglichkeit, an der wir den Tag beschließen.
Tag 2: Höhe Lossow – Küstrin-Kiez, Fischer Schneider, 38km
Während der Nacht ist es bei klarem Himmel deutlich abgekühlt, aber der Fluss ist badewannenwarm. Entsprechend liegt wieder Frühnebel. Eine tolle Morgenstimmung, während das Wasser auf dem Trangia kocht.
Wie immer sind wir in den ersten Nächten im Zelt eher früh wach, also haben wir kein Problem wieder zügig auf den Fluss zu kommen. Frankfurt/Oder lassen wir bald hinter uns, denn nach Stadt ist uns ja wirklich nicht. Später kommt auf deutscher Seite noch Lebus, aber dann ist wirklich wieder Ruhe. Die einzige Gesellschaft sind die Graureiher, von denen buchstäblich auf jeder Buhne einer steht – wenn dort nicht ein Angler Revier bezogen hat, was immer der Fall ist, so lange diese mit dem PKW irgendwie zu erreichen sind. So langsam wird es richtig hochsommerlich, und während unserer Pausen freuen wir uns über den ein- oder anderen schattenspendenden Baum, der an den Stränden des Ufers steht. Wiederum freuen sich alle über die freie Wahl an Sandbänken und Stränden. Auch den Tieren ist warm: im Schilf beobachten wir eine Rotte Wildschweine beim Baden am Ufer. Wir fahren bis Kostrzyn/Küstrin-Kiez an der Warta-Mündung und wollen nach zwei Biwaks beim Fischereihof Schneider rasten. Leider führt der Vorflutkanal so wenig Wasser, dass wir nicht direkt rankommen und ein paar hundert Meter Portage in Kauf nehmen müssen. Den ordentlichen Platz teilen wir mit ein paar wenigen Wohnmobilisten und den auf dieser Tour omnipräsenten Bikepackern, die den Oder-Neiße-Radweg machen. Nach 38 km Etappe freuen wir uns über die Dusche und den frischen Räucherfisch.
Da der Wind unterdessen auch ganz eingeschlafen ist, werden die Mücken lästig. Draußen sitzen ist nach 19:30 nicht wirklich angenehm, und wir zweifeln zuerst an unserem namenhaften Mückenspray, bis uns die ortsansässigen mit mildem Lächeln darüber aufklären, dass egal welche Sorte maximal 20 min vorhält – wenn überhaupt. Entsprechend führen wir ein Ritual ein, bei dem blitzartig und unter minimaler Öffnung des Fliegennetzes ins Zelt gekrabbelt wird. Danach ist dann „Licht an – Mücken totschlagen“, bis die letzten mit hinein gehuschten Biestern über den Jordan gebracht wurden und die Nachtruhe störungsfrei genossen werden kann.
Tag 3: Küstrin-Kiez bis Höhe Spitz, Biwak, 41 km
Entsprechend dem Ende des gestrigen Tages startet der Tag wieder mit einer Portage runter zum Fluss. Sehr angenehm mit den Duffles. Das Ufer des breiten Flusses zieht Kilometer um Kilometer mit der endlosen Folge an Sandbänken und Stränden an uns vorbei. Die Sonne wird richtig kräftig, wir schwitzen und wir sind froh, uns auf dem Platz ohne das längere Wasserfiltern maximal mit Trinkwasser versorgt zu haben.
Während der Badepausen wechseln wir mal von polnischer zu deutscher Seite und suchen uns wieder unsere Privatinseln. Während die Kinder im flachen, warmen Wasser plantschen, beobachten wir die Fauna. Was wirklich auffällt ist, dass es kaum einen Baum, egal wie groß, ohne Biberbissspuren gibt.
Wir sehen im Sand auch Otter- und Waschbärspuren sowie öfters Wildschweinfährten. Tagsüber lassen Tiere sich natürlich meist nicht blicken, aber das tut der Stimmung keinen Abbruch. Adler und Kiebitze hingegen braucht man nicht lange suchen. Einige Seeadler holen direkt vor unseren Augen den Fisch aus dem Wasser, aber mit der Kamera sind wir nicht schnell genug. Da die Strömung hier immer noch kräftig ist, machen wir am Ende des Tages 41 km bis zu unserem Biwakplatz vor Hohenwutzen / Kostrzynek. Dort schlagen wir das Camp auf und genießen die wunderbare Stimmung. Wie im Bilderbuch ziehen die Kraniche in den Sonnenuntergang, während unten der Fluss rauscht.
Tag 4 Höhe Spitz – Marina Oderberg, 22km
Heute feiern wir den Geburtstag unserer jüngeren Tochter. Dazu sind alle bereits früh wach, und wir schaffen es glücklicherweise, das Geburtstagskind dabei nicht zu wecken. So bereiten wir den Geburtstagstisch unter dem Sonnenaufgang, während oben die Graugänse ziehen und der Frühnebel sich nach und nach vom Sonnenaufgang vertreiben lässt. Später gibt es natürlich ein Ständchen, die eigens mitgeführten Geschenke und ein Geburtstagsfrühstuck mit Schokolade und Süßem.
Als wir später das Geschirr spülen, kocht der Fluss fast vor kleinen Fischen, die sich über die Reste hermachen - Frühstück Teil 2. Und wieder dauert es keine 5 Minuten, bis die größeren Raubfische ebenfalls platschend aus dem Wasser schießen – Frühstück Teil 3.
Es wird zunehmend heißer und auch drückend, der Wetterbericht warnt vor Gewitter. Es sieht auch ganz danach aus, also disponieren wir um und kürzen die Etappe bis Marina Oderberg. Passt schon, so können wir auch mal wieder richtig duschen und für die Lütten Pommes und Geburtstagseis kaufen. Durch die Schleuse Hohensaaten-Ost fahren wir bergab in die Alte Oder. Prompt nimmt der Sport- und Frachtverkehr gefühlt um das 100-Fache zu und wir fühlen uns unwohl bei all dem Betrieb. Quellwolken türmen sich auf, zudem kommt Westwind mit 15 km/h auf. So müssen wir bis zur Marina Oderberg ordentlich ackern und sind froh, die Bentshafts für Hit&Switch mitgenommen zu haben. Wenigstens sind wir am frühen Nachmittag schon da und können das Camp im trockenen aufbauen, so dass es dann ohne Gepäck auf der Alten Oder nach Oderberg geht. Das Örtchen gefällt uns, und das Eis ist super. Das Gewitter zieht dann doch vorüber, was wir schon fast schade finden da die ersehnte klimatische Entspannung ausbleibt. In diesem Camp treffen wir das erste Mal überhaupt auf andere Paddler. Ein Pärchen aus Berlin liegt neben uns. Die beiden haben wegen Corona die Fernreise abgesagt und wollen mit dem Faltboot von „vor der Haustür bis an die Ostsee“. Wir tauschen Erfahrungen aus und werden uns die kommenden Tage häufiger begegnen. Wie jeden Abend endet der Tag früh im Zelt mit „Licht an – Mücken totschlagen“, und die schöne große Veranda der Marina ist ab 20:00 wie ausgestorben.
Tag 5 – Marina Oderberg – Höhe Piasek, Biwak, 20 km
Der Tag beginnt mit drückendem Wetter und heftiger Quellbewölkung. Die Gewitterneigung hat sich nicht verzogen, und wir fühlen uns wie am Amazonas. So packen unsere Sachen zusammen, und bereits um 09:30 lässt es sich selbst im super belüfteten Lavvu nur noch in Unterwäsche aushalten, während wir die Schlafsäcke und Isomatten zusammenräumen. Schon jetzt läuft uns der Schweiß, und wir kommen spät los. An der Schleuse treffen wir dann die Faltbootfahrer wieder und wundern uns: während wir völlig trocken hingekommen sind, sind die anderen wenige Kilometer vor uns von einem kurzen, kräftigen Gewitterschauer überrascht worden und lenzen erst mal das Boot. Das Glück ist wohl mit den Faulen… während wir bergauf in Richtung Oder schleusen, läuft ein Fuchs völlig entspannt über das Schleusentor. Dann hat uns der große Strom wieder. Wir atmen regelrecht auf, fühlen uns wieder frei. Dann erwischt uns doch noch ein kleiner Schauer, dank der Wärme sind wir aber im Nu wieder trocken.
Der Fluss wird nun zwischendrin deutlich flacher und hat weniger Strömung, womit wir im Canadier natürlich keine Probleme haben. Eine kleine Segelyacht mit ein paar jungen Leuten darauf läuft allerdings mitten im Fahrwasser auf Grund, was zu lautem Gefluche und vielen nutzlosen Freifahrversuchen führt. Leider können wir nicht helfen. Auf der deutschen Seite beginnt nun linker Hand der Nationalpark, so dass Biwaks auf der linken Seite ab nun ausfallen. Wir haben ein Fleckchen auf einer Halbinsel zwischen Bielinek und Piasek in Blick und lassen später nur noch den großen Kiesabbau hinter uns. Dann finden wir eine Wiese mit riesigem Strand direkt am Strom auf einer Halbinsel. Die Berliner Faltbootfahrer beziehen wenige hundert Meter weiter Station. Zum ersten Mal sehen wir nun überhaupt vereinzelten Binnenschiffverkehr, ausschließlich von/zur Kiesgrube. Abends kommt auflandiger Westwind auf, worüber wir uns sehr freuen. In Norden kommen einige Gewitterschauer herunter, bei uns bleibt aber alles trocken. Die Kinder spielen bis zum Sonnenuntergang am Strand, und unser Schlafzimmer hat freien Blick auf den Sonnenuntergang vorm Nationalpark. Wie fast jeden Abend ziehen die Gänse und Kraniche, bevor wir wie immer im Zelt mit „Licht an – Mücken totschlagen“ den Tag beenden.
Tag 6 – Höhe Piasek – Wildnisschule Teerofenbrücke, 29 km
Nachts ist es wieder unter klarem Himmel abgekühlt, so dass es morgens viel Nebel gibt. Den nicht weit entfernten Vogelbeobachtungsturm am anderen Ufer können wir zwischenzeitlich gar nicht mehr sehen. Sinnlos, bei der Suppe auf den Fluss zu gehen. Also gönnen wir uns die Zeit, warten bis nach 10:00 und können dafür das Lavvu trocken verpacken. So langsam, aber sicher verändert sich auch der Charakter des Flusses. Die Strömung hat wie gesagt abgenommen, und Sandbänke oder Strände gibt es nun kaum noch. Das Ufer ist nun auf polnischer Seite meist bewaldet, während sich linker Hand bereits der Nationalpark entspannt.
Leider spenden die Bäume am Ufer keinen Schatten in den Fluss, so sehr wir es auch versuchen. Es wird brutal warm und drückend, und wir sind froh morgens so viel Zeit gehabt zu haben, dass wir volle Flaschen, Trinkblasen und Wassersäcke als Reserve gefiltert haben. Einen schnellen Schlag bekommen wir bei der Hitze nicht mehr hin und als die Industrie von Schwedt am Horizont anfängt den Naturgenuss zu stören, stellen wir auch noch fest, dass die Rastmöglichkeiten hier leider langsam weniger werden. Das Ufer ist steinig und aufgrund des Wasserstandes kommen wir an der eingezeichneten Stelle hinter der Brücke von Krajnik Dolny leider auch nicht raus. Erst einige Kilometer später finden wir einen recht steinigen Rastplatz, der aber aufgrund der direkt am Ufer verlaufenden Landstraße über und über mit Müll übersät ist. Dann brettert auch noch eine gewaltige, hochseetaugliche Motoryacht ohne zu reduzieren an uns vorüber, was einige Hektik und viele Schrammen im Gelcoat des immerhin fest vertäuten Canoes beschert. A*loch!
Ehrlich gesagt der einzige doofe Stopp auf der gesamten Strecke, wenngleich unter annähernd endlos vielen, tollen Haltemöglichkeiten. Dann kämpfen wir uns unter weiterhin brutaler Hitze an der Schwedter Querfahrt vorbei in Richtung Marienhofer Wehr, wo die Grenze nach links durch den Oderbruch springt. Wie erwartet steht das Wehr offen, und wir queren in Richtung Westoder, um danach ein Stückchen zurück in Richtung Teerofenbrücke zu fahren. Ganz merklich sind wir mitten im Oderbruchgebiet angekommen. Schilfwände säumen die Strecke, es quillt geradezu über vor grün und es schwirrt und sirrt überall.
Über die Abschnitte, die an dieser Stelle Welse und Holzgrube heißen, gelangen wir dann gut ausgepowert bei der Wildnisschule Teerofenbrücke an. Auf dem sympathischen Platz ist bereits viel los. Die Berliner Faltbootfahrer sind auch angekommen. Junge Leute bereiten eine Veranstaltung vor, die am kommenden Abend stattfinden soll. Es wird viel im glasklaren Wasser gebadet und wir freuen uns über die Dusche. Uns irritieren mehrere Flusskreuzfahrtschiffe, die auf dem Weg in Richtung Wasserstraße wenige Meter vom Camp vorbeiziehen – bisher hatten wir noch gar keine gesehen. Einmal mehr türmt sich gegen Abend gewaltige Quellbewökung auf und DWD gibt Unwetterwarnung für Gewitter heraus, es bleibt aber trocken. Schlafsäcke wird niemand brauchen. Von einem Biologenpärchen auf Birdwatching-Tour erfahren wir einiges über die Artenvielfalt, werden aber auch vor den Wildschweinen gewarnt. Zwar sehen wir gerade hier keine Spuren, sichern die Foodbox aber trotzdem gesondert.
Tag 7 – Teerofenbrücke – Campingplatz Mescherin, 15 km
Auf unserem vorletzten Streckenabschnitt wechselt das Wetter von brutal zu völlig abartig. Bereits frühmorgens schießt das Quecksilber in die Höhe und ist so schwül, dass es einen geradezu niederdrückt. Beim schon beim morgendlichen Stopfen der Schlafsäcke tropft das Wasser aus dem Gesicht auf die Isomatten. Die Shirts kleben am Körper, die Zungen am Gaumen und beim Beladen des Bootes werden wir von Bremsen und Mücken überfallen. Bloß weg, auch wenn`s nett hier war…
Bei der Fahrt in Richtung Mescherin haben wir das Gefühl, in einer kombinierten Sauna/Solarium zu fahren. Die Sonne sticht, von unten reflektiert der Fluss und es wird über 34°C - im Schatten. Bereits in Gartz reicht es uns erst mal, und alle brauchen dringend eine Pause. Da die Marina sehr nett ist, bringt ein großes Eis und etwas Schatten die erhoffte Entspannung. In der Pause treffen wir den Peter, der mit seinem Bulli auf einer Reportagenreise von Portugal nach Russland auch gerade hier Rast gemacht hat. Wir schnacken eine Weile. Dann kämpfen wir uns in Richtung Mescherin, wo wir unser letztes Camp aufschlagen. Obwohl mal wieder aus der falschen Richtung, sind wir nachmittags froh über Wind, denn kurz vorm Ende der 15km ist alles mitgeführtes Trinkwasser (2 Camelbaks, 3 Clean Canteens, 2 Nalgene, insgesamt gut 7 Liter) alle. Wir sind froh über die kurze Etappe. Glücklicherweise sind wir trotz der abartigen Hitze noch halbwegs in der Zeit und können uns einen guten Platz aussuchen, was sich später als großer Vorteil herausstellen sollte. Gegen Abend wird der Platz nämlich von Bikepackern regelrecht geflutet. Viele der Pedalisten tun uns leid, denn gegen die Übermacht von Bremsen und Mücken scheinen sie wenig gewappnet und können außerdem nur noch Plätze direkt in Sumpfnähe bekommen. Wir sind wenigstens einige 100m weg und haben für alle Fälle Fjällräven-Hosen/Hemden in Lang, Kopfnetze sowie eine Tarp/Moskitonetzkombi als Draußenspielzimmer für die Kinder dabei. Mückenstiche zählen wir sowieso nicht mehr, aber Bremsenstiche am Kopf, in der Kniekehle oder im Gesicht braucht wirklich keiner.
So endet der vorletzte Tag wie immer zeitig mit „Licht an – Mücken totschlagen“ und wir versuchen es tunlichst, nachts nicht zum Pinkeln raus zu müssen. Keine leichte Übung nach unserem Re-Hydrationsbedarf. Immerhin zeigt uns der Wetterbericht für den Folgetag bereits eine herannahende Kaltfront, was zwar auch Niederschlag und Wind, aber eben auch Abkühlung verspricht.
Tag 8 – Rundtour Oderbruch mit Frauke de Vere Bennett / Flusslandschaft Reisen, 11 km
Für unseren letzten Tag haben wir uns ausgesucht, das Naturschutzgebiet „auf den Spuren des Bibers“ mit einer geführten Tour zu befahren. So trifft es sich gut, dass Frauke de Vere Bennett mit "Flusslandschaft Reisen" dies genau von Mescherin aus anbietet. Der Morgen beginnt bereits etwas bedeckt, und die Kaltfront kündigt sich mit einigen kurzen Mini-Schauern etwas früher als vorhergesagt an. Doch noch ist es schwül und drückend, als Frauke mit Transporter auf dem Platz eintrifft. Wahnsinn: ein ganzer Trailer voller Wenonah Champlains, viele davon sogar in Kevlar, der Rest in Tuf Weave. Bisher haben wir nicht viel von den „Verleiher-Wannen“ gehalten, die so oft den Tagesgästen meistens angedient werden. Um so toller zu sehen, dass es auch anders geht! Unser Prospector ist also in bester Gesellschaft, was auch Frauke findet. Wie es sich gehört (aber leider auch viel zu selten stattfindet) wird eine vernünftige Einweisung abgehalten, nachdem die anderen Kunden sich die Boote aussuchen. Wir packen unser Boot dazu und geben den Kindern ein paar kleine Biberschwanzpaddel von Frauke mit. Mit Blick in den Himmel packen wir allerdings unsere Hardshells ein und laschen davor das Camp noch sturmfest. Dann geht es durch ein defektes Wehr auf die polnische Seite mitten in den Oderbruch.
Wir fahren teilweise auf engsten Wegen mitten durch Schilf und Farne, während überall es vor lauter Leben nur so zu brodeln scheint. Hält man das Paddel eine Minute lang still ins Wasser, hängen bereits kleine Schnecken daran. Bei jedem Schlag, egal wie vorsichtig, springen zig Frösche zur Seite. Die Vielzahl der unterschiedlichen Grüntöne erinnert an Gemälde von Gauguin. Wir erfahren viel über die Geschichte des Gebiets, über Flora und Fauna uns insbesondere natürlich über den prominentesten Bewohner, den Biber, während wir uns mehrere bewohnte Biberburgen anschauen. Fraukes Terrier Babette hüpft dabei vergnügt von Boot zu Boot, sobald wir während der Vorträge im Päckchen liegen. Später queren wir die Ostoder und machen in Gryfino am Strand ein Picknick, bevor es dann für eine ganze Weile zurück mitten in den Sumpf geht. Wir arbeiten uns auf zwischenzeitlich auf maximal einen Meter breiten Wegen über vermodernde Äste, armdicke, krumme Seerosenwurzeln und Schwimmfarne, als der Himmel sich dann doch immer mehr verdunkelt uns dann zu guter Letzt doch die Kaltfront einholt. Als hätte all der tagelang aufgestaute meteorologische Druck schlagartig ein Ventil gefunden, schüttet es plötzlich wie aus Kübeln während wir uns noch durchs Schilf wühlen. Im Nu steht das Wasser zentimeterhoch im Boot, aber es ist immer noch lauwarm, und wir haben kein Problem damit, schnell nach Mescherin zurückzufinden. Alle nehmen es sportlich. Als wir eine Viertelstunde später wieder am Camp ankommen, ist der Wolkenbruch dann auch schon vorbei, und wir finden Zeit für einen schönen Klönschnack mit Frauke, die an dieser Stelle Jörg, Albert und Enno herzlich grüßen lässt und noch auf das geplante Tentipi-Camp im Oktober verweist. Als dann die liebe Verwandtschaft aus der Hauptstadt eine Stunde später das Auto vorbeibringt, müssen wir unseren Kram feucht einpacken, aber das macht ja nun nichts mehr. Eine tolle Reise auf einem tollen Fluss hat ein schönes, wildes Ende gefunden.
Epilog: Big River Trek -> Big City Blues
Das Boot liegt auf dem Dach des Vans. Einige Zeit geht es noch über Landstraßen, dann setzt die Dämmerung ein und wir nähern uns den metastasierenden Ausläufern der großen Stadt von Osten, während der große Fluss längst verschwunden ist. Uns stört Lärm und Stadtgestank, als wir die liebe Verwandtschaft am Bahnhof absetzen. Völlig deplatziert kommen wir uns vor, so als wären wir auf dem Mond. Später dann Autobahn, LKW, immer mehr Beton und Kunstlicht. Es wird Nacht. Rücklichter einzelner Dienstwagen ziehen mit Tempo 200 auf der Überholspur vorüber. Keine Kraniche mehr. Überangebote an bunt verpackter Kunstnahrung auf Raststätten, Kaffee aus Pappbechern, A10, A24, A1, Baustellen im Regen. Grelle Leuchtreklame für Trucker-Erotik hier und da. Spät in der Nacht kommen wir zu Hause an. Als wir im Bett liegen und die Decke anstarren, müssen wir doch die Fenster weit aufmachen, obwohl es längst kühl geworden ist. Leider können wir den großen Fluss nicht mehr hören.
Moin A...u. Th..., danke für die ausgerichteten Grüße von Frauke (die macht`s schon richtig gut). Ja, die Oder-Touren mit Albert-lohnt immer! Viele Grüße docook
Guten Tag bin neu hier und komme aus Südösterreich. Glaubt ihr, dass es ab ca. 20.September zu kalt auf der Oder ist? Wollen auch mit Zelt ziemlich autonom unterwegs sein. LG
Sehr schöner Reisebericht! Vielen Dank! ( Eine Kleinigkeit noch: früher dachte ich oft, es heißt "Strebergarten" statt Schrebergarten... Am Tag 4 steht was von "Hit-and-Switch"... ist auch ganz originell; ist es ein Schreibfehler oder vielleicht eine Freudsche Fehlleistung von Sit-and-Switch?) Freundliche Grüße, Hörmy
Nein, denke im September ist es definitiv noch nicht zu kalt, wie schon vorher gesagt, wenn man entsprechende Klamotten mitnimmt geht das auf jeden Fall. Den Wind sollte man im Auge behalten, das Wasser wird in ein paar Wochen bestimmt auch noch recht warm sein... Sit and switch heißt auch hit and switch (wir paddeln kniend, da passt „sit“ dann auch eh nicht 😉) oder auch Minnesota switch oder auch North American touring technique, siehe Wikipedia „canoe paddle strokes“...
Hit-and-switch ist ein alternativer Ausdruck für das übliche Sit-and-Switch. Man muss die Technik des gezielten Paddelseitenwechsels ja nicht zwingend im Sitzen ("sit") ausführen.