Zitat Was macht eigentlich ein gutes Kanu aus? Welche Kriterien sind für Euch maßgebend?
Nachdem diese Fragen von Frank in dem Thread, wo sie ursprünglich geposted wurden, keine adäquate Reaktion hervorgerufen haben, möchte ich diese hier nochmals stellen und gleich einmal für mich selbst beantworten. Schließlich denke ich oft gar nicht genau nach, wieso ich welches Boot wann und wo fahre, sondern wähle mein Boot nach Gefühl. (Ich habe das Glück, aus vier eigenen und mehreren jederzeit ausleihbaren Booten wählen zu können.) Beim Probieren eines neuen Bootes ist es auch oft so, dass ich gefühlsmäßig für die gerade vorliegende Umgebung entscheide, ob es mir liegt oder nicht. Aber gerade deshalb wollte ich für mich ein bisschen herausfinden, wieso ich zu der jeweiligen Einschätzung gelange.
Als erstes habe ich mich der Antwort so genähert, dass ich überlegt habe, welche Eigenschaften eines Kanus für mich überhaupt von Relevanz sind (eigentlich: die ich bewusst wahrnehme). Natürlich sind einige dieser Eigenschaften von einander abhängig (Gewicht - Material), bedingen sich gegenseitig (Größe - Zuladung) und ändern sich auch permanent bei unterschiedlichen Bedingungen. (Ein Boot mit Zuladung kann sich bezüglich Kippverhalten oder Wenigkeit oder … gänzlich anders verhalten als ein nicht bepacktes. Ein buglastig getrimmtes Boot mag vielleicht einfach nicht drehen, …) Also ist es für mich logisch, die Umweltbedingungen heranzuziehen und in diesem Bezug zu bewerten, welche Eigenschaft ein Boot für mich haben soll, damit ich maximale Freude am Paddeln habe. Dabei bin ich meistens in folgenden Umgebungen unterwegs: - kürzere, spielerische Ausflüge am Flachwasser (meist so einen halben bis einen Tag lang), ohne Ziel, einfach nur paddeln und spielen - längere Ausflüge und kurze Touren (meist ein Tag, manchmal auch zwei bis drei) am Flachwasser oder im Fließwasser - längere Touren (3 - 7 Tage) am Flachwasser oder im einfacheren Fließwasser
Nun also zu den Eigenschaften: - Gewicht: so gering wie irgendwie möglich, am liebsten alle so schwer wie mein 11kg Carbon-Boot
- Material: meist nur in Bezug zu Gewicht und aus ästhetischen Gründen relevant: Da ich hauptsächlich am Flachwasser und leichtem Fließwasser unterwegs bin und nicht mit Getose über Steine donnern muss, wähle ich in der Regel kein Royalex. Auch beim Ein- und Aussteigen muss ich nicht einen zwei Meter hohen Felsen überwinden. Das heißt aber nicht, dass ich nicht auch in steinigeren Gegenden unterwegs bin und nur im Strandbad einsteige. Durch das minimale Gewicht meiner Boote habe ich keine wirklichen Probleme, das Boot über ein paar Steine zu heben, so dass ich wilde Kratzerein allein auf Grund des geringen Gewichtes vermeide und alle anderen Annehmlichkeiten des geringen Gewichtes genießen kann (beim Umtragen, beim Rauf- und Runterheben vom Autodach, …). Die eine oder andere steinige Stelle, wo ich mit Royalex einfach darüber hinweg fahre, umtrage ich dann halt und freu mich, dass das Ding nicht so schwer ist.
- Größe: Größe im Sinne von Länge ist mir nur indirekt wichtig, insofern sie Auswirkungen auf andere Eigenschaften hat. Größe im Sinne von Breite und Höhe ist aber schon relevant, und zwar dahingehend, dass ich lieber in kleineren Booten fahre, in denen ich mich ungehinderter fühlen kann und mehr Nähe zum Wasser und zur Umgebung aufbauen kann.
- Zuladung: wird für mich für Touren ab zwei Tagen ein wenig relevant, wobei ich jemand bin, der eher minimalistisch unterwegs ist bzw. sein kann. Trangia-Kocher, ein paar Trocken-Konserven, 4kg-Zelt, Schlafsack, Ersatzwäsche. Die "Küche" in einem Rucksack, auf dem ich auch drauf sitzen kann, viel mehr ist es dann eh nicht. Zudem bin ich in Gegenden unterwegs, wo sich immer die Gelegenheit bietet, in akzeptabler Zeit einen Hof oder ein Geschäft zu erreichen. Und die Touren halten sich mit einer Woche auch in Grenzen.
- Anfangsstabilität: Ist für mich in der kalten Jahreszeit ein kleines Thema, allerdings passe ich dann halt beim Ein- und Aussteigen besonders auf und suche mir dafür Plätze, wo das relativ problemlos ist.
- Endstabilität und Kippverhalten: Ist für mich für Mehrtagestouren von Relevanz. Gerade bei Touren ist man nicht jeden Tag gleichermaßen gut konditioniert und konzentriert. Ich mag es durchaus, wenn es sich beim Kanten butterweich anfühlt. Aber dann habe ich gern, dass das Boot sich irgendwann kurz meldet, bevor es ab ins Wasser geht! Bei kürzeren Ausflügen sind diese Grenzen kaum bis gar nicht wichtig, bei längeren Ausfahrten verschiebt sich mein Wunsch in Richtung von etwas mehr Stabilität. Vor allem, wenn ich mit der Kamera unterwegs bin und vom Boot aus fotografiere.
- Geschwindigkeit: Ab einer Tagestour durchaus von Relevanz und für mich gegenüber der Wenigkeit in diesem Umfeld wichtiger.
- Wendigkeit: Für kürzere Touren für mich unglaublich wichtig und zwar weil es mir einfach Spaß macht, meine Figürchen ins Wasser zu zeichnen und unbeschwert und ohne viel Kraftaufwand mit dem Boot und dem Wasser zu spielen.
- Leichtgängigkeit: Ist für mich eigentlich immer ein wichtiges Kriterium, wenn gleich es da natürlich auch Abstufungen gibt. Das Boot, welches ich für längere Ausflüge nutze, ist nicht so leichtgängig wie das, was ich fürs Kringeln fahre. Trotzdem war es beim Kauf ein Kriterium, dass es leichtgängiger war als einige andere vergleichbare Touren-Boote.
- Ansprechgeschwindigkeit und -ausmaß: Das sind für mich Eigenschaften, die immer wichtig sind. Ich mag Boote, die sensibel und schnell auf das reagieren, was ich tue. Aber auch hier gibt es die Abstufung zwischen sehr sensibel (spielerische Ausflüge) und einigermaßen sensibel (längere Ausfahrten, Fotografieren). Ich kann ein Boot nicht brauchen, das sich um 90 Grad dreht, weil ich das Paddel nach vier Tagen Tour nicht ganz sauber ins Wasser bringe. Aber: Ich mag auch kein Boot, wenn ich es mit aller Gewalt dazu überreden muss, die eingeschlagene Kurve zu unterbrechen oder schnell mal nach links zu versetzen.
- Trimmempfindlichkeit: Auf Grund dessen, dass ich nicht mit Tonnen-Gepäck unterwegs bin und recht schnell und einfach den Trimm ändern kann, dürfen meine Boote allesamt durchaus etwas empfindlich auf Trimm reagieren.
- Wind- und Wellenempfindlichkeit: Abhängig von der Länge der Tour mehr oder weniger relevant. Ich kann durchaus mal den halben Tag mit dem Wind und den Wellen kämpfen, bei einer viertägigen Tour durchgängig eine Qual! Schließlich verbessere ich meine Paddeltechnik auch ständig und viele Dinge, die mir früher Probleme bereiteten, werden immer leichter beherrschbar. Nachdem ich einmal völlig verzweifelt am Ufer wegen des Windes hängen geblieben bin, habe ich immer wieder damit geübt. Ich denke, dass der Wind, der mich damals zur Verzweiflung gebracht hat, nun bei mir eher ein Lächeln hervorruft.
- Ästhetik und Verarbeitung: Ja, ich bin halt einer von den Leuten, die auf die Frage, welches Auto sie haben, die Farbe statt der PS nennen. Auch bei Booten kann ich mich einfach an der schönen Verarbeitung, der Farbe oder dem wunderbaren Gewebe erfreuen, wo die Farbe leuchtend durchscheint und in unendlich vielen Nuancen ständig neue Farbkombinationen und Spiegelungen mit dem Wasser bildet.
Wenn ich Obiges zusammenzähle, ist ein gutes Boot für mich eines, - welches in einer bestimmten Situation die Anforderungen, die ich in dieser Situation habe, bestmöglich erfüllt - welches meinem Zugang und meiner Einstellung zum Paddeln und zum Boot am nächsten ist - welches noch Potenzial hat, das ich entdecken kann und das mir die Möglichkeit bietet, mein eigenes zu vergrößern.
Ich denke, dass andere die oben genannten Eigenschaften und Bewertungen ganz anders sehen und ganz andere Zugänge zu Ihren Booten und dem Paddeln haben. Ich freue mich, diese zu erfahren! Albert
Hallo Albert, das war sehr interessant zu lesen, wie Du deine Bedürfnisse, Kritierien und Vorstellungen sehr einleuchtend und überzeugend geschildert hast. Nächste Woche versuche ich es Dir nach zu tun. LG Jürgen
Ein gutes Kanu ist für mich ein Kanu, das seinen "Job", für den es gebaut wurde, sehr gut macht, darüber hinaus in "Nebenjobs" auch noch eine akzeptable Figur macht - oder ein Spezialboot, das in einem "Spezialjob" diesen am besten verrichtet. Das Rumpfdesign ist für mich mit Abstand das wichtigste Merkmal, da daraus die Laufeigenschaften resultieren. Verarbeitung, Material, Gewicht, Optik usw. ordnen sich dem unter.
Wenn ein "Seenflitzer" sehr leicht und schnell läuft, auch noch einen guten Trockenlauf vorweisen kann - dabei auch noch wendiger ist, als man es vielleicht in der Klasse erwartet, fährt das Boot für mich schon sehr weit vorn. Wenn daneben ein interessantes Gewicht und eine saubere Verarbeitung dabei sind, noch besser. Natürlich spielt dann auch noch das optische Bild eine Rolle - aber längst nicht die entscheidende ...
Bei den ganzen Merkmalen und Eigenschaften spielen natürlich auch die persönlichen Interessen und Vorlieben eine große Rolle. In fast allen Lebenslagen sollte ein Kanu für mich auch gut zu Kanten sein - okay, beim "Seenflitzer" ist das nicht unbedingt notwendig - aber auch nicht schlecht, wenn es doch gut geht .. Für mich auch ein Kriterium: Paßt das Tourengepäck gut ins Boot? Bleibt Spielraum zum Trimmen? Wie läuft das Boot mit meinem Tourengepäck?
Werden alle meine Interessen, Wünsche und Bedürfnisse in einem Boot befriedigt, kommt es meinem "Idealboot" schon sehr nah.
FFF - Form follows function, wie in der Architektur. Wenn das erfüllt ist, stimmt auch die Ästhetik. Was ich besonders schätze: wenn ( scheinbar ) gegensätzliche Parameter auf hohem Niveau erfüllt sind. zB Leichtlauf und Wendigkeit.