Wahrscheinlich drücke ich mich im Folgenden genauso unbeholfen aus, wie ich mich beim Paddeln anstelle... aber mir gehen da ein paar Fragen durch den Kopf:
Ich habe es in den letzten Wochen einige Male geschafft, mich ungewollt ins Wasser zu befördern. Das ist mir davor sehr lange nicht mehr passiert- wahrscheinlich weil ich mit Tandemcanoe und Solocanoe eher auf ruhigem Gewässer unterwegs war.
Nun kamen ein paar Fahrten mit drehfreudigeren Booten, die nicht so fehlerverzeihend scheinen, und Übungen wie Ein- und Ausschlingen aus Kehrwassern und Seilfähren mit mehr Strömung hinzu. Allerdings fanden die Kenterungen fast ausnahmslos jeweils mit Oldschool-Kanadier und -Kajak mit ausgeprägten Rundboden statt.
Meine Frage lautet eigentlich nur: in welche Richtung und wann genau kanntet mensch sinnvollerweise. Und vor allem: wieso? Ist das auf der einen Seite von der Strömung im "WW" abhängig und eine völlig andere Sache z.B. auf einem See? Kann das bei einem Seekajak, einen WW-Kajak und einem Kanadier wirklich unterschiedlich sein?
Zur Erläuterung, falls notwendig: beim Einkurven ins Kehrwasser kante ich nach Überqueren der Überschneidungslinie auf der Kurveninnenseite (wie beim Motorrad fahren), um den Bootsboden gegen die Gegenströmung des Kehrwassers zu "heben" bzw. beim Kajak das Oberdeck nicht auf der Kurvenaussenseite unter Wasser gedrückt wird. Frage: nur weil bzw. wenn ich genug Geschwindigkeit habe, muss ich das Boot vorher nicht kanten?
Fahre ich wieder aus dem Kehrwasser kannte ich flussab, um auch hier den Boden des Bootes gegen die Strömung anzuheben. Frage: nur weil bzw. wenn ich genug Geschwindigkeit habe, muss ich vorher das Boot im Bereich des Kehrwassers nicht kanten?
Wie ist das beim Bogenschlag? Auf schwach fliessendem Gewässer kannte ich das Boot zur Schlagseite des Bogenschlags (zur Aussenkurve), aber wie wäre das im Fliessgewässer? Oder vermeide ich einen Bogenschlag, wenn ich damit zur Strömung (flussauf) kanten würde? In dem Buch "Seekajak" von Outdoor Basixx steht, dass die Seite des Kanten zur Erleichterung der Kurvenfahrt vom Boot abhängig wäre.
Bei der Seilfähre kante ich flussab. Wie ist es, wenn ich im Zickzack den Fluss flussauf fahren muss und schnell die Richtung ändere. Muss ich dann ebenso schnell gegen flussauf kanten (der Strömung den Boden zeigen)?
Falls der Beitrag doof ist bitte einfach löschen oder ignorieren. Wenn nicht bin ich sehr gespannt. Nur um Misverständnisse zu vermeiden: ich will nicht theoretisch paddeln, sondern auf dem Wasser. Aber da die Lernnkurve ab und an von einer Kenterung unterbrochen wird, hole ich mir bei 2°C schnell einen Schnupfen.
Mit "wie beim Fahrradfahren" liegst Du richtig. Auch beim Bogenschlag, den Du aber nicht wirklich brauchst. Flott über die Verschneidungslinie, darüber den Duffek setzen, das genügt. Das Kanu dreht schnell genug um das Paddel. Ein Einsteigerfehler der oft gemacht wird: zu wenig Tempo, zu früh reingreifen. Also: Richtig Tempo mit Ziel Hindernis ( triffst eh nicht, da vor der Verschneidungslinie schnelle Strömung kommt), dann über die Verschneidungslinbei reingreifen. Zu früh bedeutet: die eben angesprochene schnellere Strömung vor der Verschneidung schiebt Dich am Kehrwasser vorbei - weg ist die Chance. Von mir ein persönlicher Tipp: Halte die Kantung im Kehrwasser etwas länger, denn der Schwall, den Du ans Ufer wirfst, kommt zurück und will auch noch unter dem Kanu durch. Du ersparst Dir, allesrichtig gemacht zu haben und - unerklärlich - dennoch zu schwimmen. "Outside lean", wie am Flachwasser geht theoretisch auch, praktisch aber erst mit meisterhafter Bootsbeherrschung, dem richtigen Kanu und Paddelpartner...und vielen Kenterungen. (Gerne testen bei Badetemperaturen.) Viel Spass beim Üben, W
Es gibt verschiende Gründe zu kanten, und das muss einem erst mal bewusst sein.
1.Kanten, um durch veränderte Geometrie des im Wasser befindlichen Bootsboden (Unterwasserschiff) eine Richtungsänderung zu veranlassen. Hier drückt man die kurvenäussere Kante ins Wasser. Je nach Boot drehts jetzt schon von alleine oder es braucht noch einen zusätzlichen Impuls, aber dann dreht das Boot meist extrem stark. Hierzu braucht es -anhaltende- Geschwindigkeit des Bootes gegenüber dem Wasser (was im WW meist nicht gegeben ist) Wesentliche Anwendungen: Seekajak oä auf Flachwasser oder in linearer Strömung (zB im Surf), Tourencanadier auf Fachwasser oder linearer Strömung
2.Kanten, um eine paddelbedingte Drehung zu erleichtern. Hier stellt man das Boot stark auf die Kante, um dem Unterwasserschiff mehr Rocker zu geben und einen Turn auf der Stelle zu erleichtern. Seekajak und Tourencanadier auf Flachwasser (zB Kringeln)
3.Kanten, um Zentripetalkräfte aufzufangen. Beim Durchqueren einer Verschneidungslinie wird das Boot durch die Strömungen unterschiedlicher Richtungen mehr oder weniger schnell gedreht, das hängt im Wesentlichen von der Relativgeschwindigkeit der beiden Strömungen ab. Der Vergleich Mopedfahren ist nicht falsch, aber ich greife als Bild lieber auf den Typen vom Karussell zurück, der die Fahrchips einsammelt. Der stemmt sich auf der drehendenden Scheibe ja auch mit der Körper nach innen. Man muss eigentlich gar nicht Kanten, sondern nur den Körperschwerpunkt aus der Bootsachse bekommen, gute Fahrer untescheiden das. Anwendungen: Überall dort, wo starke Kehrwässer sind, vor allem im Wildwasser, aber auch im Seekajak bei Hindernissen im Tidenstrom, Rhein hinter Buhnen usw
4.Kanten, damit Strömung den Bootrumpf nicht umwirft. Dabei nimmt man eine Kante hoch, damit die einsetzend angreifende Strömung nicht dir Kante packt und das Boot um Längsachse dreht, sondern die Strömung unter der Kante am UW-Schiff durchlaufen kann, ohne nennswert Kräfte am Boot angreifen zu lassen. Speziell in diesem Punkt unterscheiden sich die harten Knickpantrümpfe von den verzeihenden Rundböden. Anwendung: Traversieren/Seilfähre, Sidesurf in der Walze oder gebrochenen Brandungswelle (was auch ne Walze ist).
Und aus diesen vier Punkten muss situativ das Passende zusammengeschraubt werden. Es gibt zB das sog. S-fahren bei den WW-Kajakern, da lehnt man zwar den Oberkörper leicht, aber kanntet das Boot nicht ins Kehrwasser. Ziel ist das schnelle und gerade durchfahren eines Kehrwassers mitten im Fluß (zB hinter einem Stein), um gerade durch das Kehrwasser durchzuschiessen und den Speed zu behalten. Im Wildwasser haben die Punkte 1 und 2 quasi keine Relevanz.
Zum Kanten auf ruhigem Wasser find ich diesen Artikel ganz interessant. Es geht ja dabei nicht nur um's Kurven-Fahren, sondern auch darum, die Tendenz des Bootes, zur Gegenseite zu drehen, zu minimieren und damit Korrektur, z.B. durch J-Schläge, möglichst überflüssig zu machen. Dabei spielen zwar auch eine Reihe anderer Faktoren (Paddeltechnik, Windrichtung...) eine wichtige Rolle. Richtiger Trim bringt aber schon enorm viel. Für den Trim nach vorn und achtern hab ich deshalb gerne ein bißchen Ballast im Boot, den ich dann verschieben kann. Ein Schiebesitz und ordentlich Körper-Gewicht sollen da aber auch Wunder bewirken
Dort wo die Stromzunge beginnt, ist die Verschneidung am schmalsten/ dünner und hat Dampf die Strömung. Je breiter die Verschneidung wird, desto unruhiger das Kanu. Hoffe ist verständlich
Letzendlich hilft nur üben, die Theorie sollte zwar bekannt sein aber nicht zu verkrampft verfolgt werden. Zum Thema Geschwindigkeit bei den Kehrwassergeschichten. Es geht auch ohne, auch wenn es fasst unabdingbar ist. Lass mal Dein Kanu ganz ganz langsam mit dem Bug in die Strömung sacken. Mehr oder weniger kanten, mit Paddel eindrehen, versuchen auf der Stelle zu bleiben und eine 360 Grad Drehung abschließen. Wichtig der Wechsel beim Kanten. Das geht mit wendigen oder weniger wendigen Kanus. Aus meiner Sicht mit weniger wendigen Kanus schöner zu üben, weil es nicht zu schnell geht. Wenn es sitzt und Du damit Dich wohl fühlst, bei mehr Strömung probieren. Hier im Filmchen etwas zu sehen. Waren meine ersten Versuche. Natürlich schaut das derzeit flüssiger aus
Denke, es gibt bestimmt anschauliche Youtube Filmchen oder DVD Angebote 😉, mit denen man sich das besser vorstellen kann. Gibt es hier Tipps? Bin gespannt und freue mich als überwiegend „Seekanadierpaddler“ auf Eure Empfehlungen... R.
die vorangegangenen Erklärungen sind, so denke ich, gut nachvollziehbar - gut auch der Einwurf von Frank, das Kanten kommt vor dem Queren der Verschneidungslinie !
Ich will mal versuchen das ganze Bildhaft zu machen... Punkt 2-4 aus den Ausführungen von Thomas kommen dabei zunächst in Szene. Der Canadier wird bei allen Manövern in die Kurve gelegt.
Das vorletzte Canadier-Bild zeigt den Malecite von Lettmann, der sich dem Kanten mit einem hohen Aufrichtmoment regelrecht entgegensetzt. Dabei wird auch das Dilemma des Heckpaddlers bei einer Onside-Drehung (zur Paddelseite des BugPaddlers hin) offensichtlich. Ein Bogenschlag des Heckpaddlers würde die Drehung unterstützen, dieser aber eine Gewichtsverlagerung weg von der Kante nach sich ziehen... Bei stärkerer Strömung wird das Kanten des Heckpaddlers wichtiger sein als der unterstützende Bogenschlag. Mit einem Boot das sich gut aufkanten lässt, geht es deutlich entspannter…
Das das Kanten des Bootes einen asymmetrischen Rumpf im Wasser bewirkt, der damit „in eine Richtung zieht“, ist beim ein und ausfahren von Kehrwässern wenig von Bedeutung. Im Seekajak z.B. ist das aber eine gute Möglichkeit unter Fahrt die Richtung zu korrigieren – rechte Kante hoch, das Kajak läuft nach rechts. Im Solocanadier mache ich mir das ab und an auch zu Nutze, auf Flachwasser...
Anmerkung: Ich bin weder ACA Trainer noch ansonsten kommerziell im Kanusport unterwegs - Du kannst Dich dem Thema natürlich über Try & Error nähern (mit viel Schwimmen) - einfacher ist es auf einen erfahrenen Coach (Kurs) oder kompetenten Mitpaddler zurück zu greifen (weniger Schwimmen).
Vielen Dank, dass ihr meine Frage so wohlwollend aufgenommen und kompetent beantwortet habt. Geübt (und gefühlt) wird auf dem Wasser, aber die Theorie zu verstehen, hilft mir "Kopfmenschen" in jedem Fall.
Zitat von Frank_Moerke im Beitrag #5Eventuell liegen die Probleme bzw. Kenterungen in einem kleinen Mißverständnis begründet: "... kante ich nach Überqueren der Überschneidungslinie ..." Da ist es zu spät.
Die Problematik lag eher darin die Strömung des Kehrwassers selbst unterschätzt zu haben und zu früh von der Kante gegangen zu sein. Meine Formulierung war allerdings ungenau und ich hätte auch Deinen Verdacht geteilt.
Ich stelle jedenfalls gerade fest, dass nicht nur mein (fehlendes) Können und Wissen, sondern auch die Art des Bootes - ich fahre derzeit auf einem recht überschaubaren Stück Wasser mit sehr unterschiedlichen Booten (WW-Riverrunner und - Creeker, Seekajak, Solokanadier und Solo im Tandemkanadier- sowie natürlich der Wasserstand entscheidend zum Ergebnis beiträgt