Auf der Oder von Steinau a.d.O. nach Neusalz, Ostern 2019
Die erste Paddeltour in diesem Jahr führt uns wieder auf die Oder in Polen. Anstrengend durfte es nicht sein, Andrea hat gerade eine schwere Operation hinter sich und ist noch krankgeschrieben, und all die kleineren Flüsse hier im Osten hatten wegen der seit letztem Jahr anhaltenden Trockenheit viel zu wenig Wasser. Natürlich reizt uns auch, einen neuen Oder-Abschnitt kennenzulernen. Letztes Jahr paddelte ich von Neusalz bis Crossen, vor 2 Jahren waren wir auf der Oder von Crossen bis Frankfurt, vor 4 Jahren von Frankfurt bis Küstrin, und vor >20 Jahren in den polnischen Oderpoldern oberhalb von Stettin.
Ansonsten ist alles wie gehabt. Wir wählen den großen Ally, den 16.5’ Tour, das robuste Staika anstelle des MSR Freelite 3, welches Andrea letzten Sommer in Sibirien nicht so recht gefallen wollte, und das erste Mal bin ich mit meiner neuen Expeditionskamera auf dem Wasser unterwegs, der Sony RX10M4. Was es da alles an Einstellmöglichkeiten zu wählen gibt, oi oi oi. Wenigstens muss ich keine Objektive wechseln, es ist alles fest verbunden und ich kann im KB-Brennweitenbereich 24-600mm zoomen. Davon habe ich schon jahrelang geträumt. Im Umgang mit dieser Kamera habe ich aber offensichtlich noch viel zu lernen, noch nie hatte ich so viel Ausschuss wie auf dieser Tour. So habe ich für diesen Bericht nur 155 von 528 Fotos ausgewählt. Die Wettervorhersage ist phantastisch und Spritzdecke, Schirme und Regenklamotten bleiben gleich zu Hause.
Steinau liegt insofern sehr günstig, weil man von mehreren unterhalb liegenden Orten wie Glogau/Głogów, Beuthen a.d.O./Bytom Odrzański und Neusalz/Nowa Sól mehrfach täglich mit der Bahn hierher zurück kommt. Früher hätten wir unterhalb des bisher letzten Wehres/Schleuse in Dyhernfurth/Brzeg Dolny eingesetzt, aber diese Zeit ist mit einer kürzlich neu hinzugekommenen Staustufe vorbei. Auch da wäre man gut mit dieser Bahn hingekommen. 32km oberhalb von Steinau ist 2018 ein neues Wehr mit Schleuse in Betrieb genommen worden (Maltsch/Malczyce), wo unklar ist, wie es zZ passiert werden kann. Maltsch hat zwar ebenfalls einen Bahnhof, jedoch gibt es viel seltener günstige Verbindungen, da man umsteigen müsste.
Tag 1, Karfreitag 19. April 2019 ½10 fahren wir los. Der Routenplaner avisiert uns auf der kürzesten Route 282 km bis Steinau a.d.O., polnisch Ścinawa. 60km weiter liegt Breslau/Wrocław, das wirtschaftliche Zentrum Niederschlesiens. Der Zusatz “an der Oder” ist wichtig, wenn man sich vor Augen hält, dass es 17 Orte mit dem Namen Steinau gibt. 8 davon liegen heute noch in Deutschland, 7 in Polen, und je einer in der Tschechei und Russland. Gegen 2 kommen wir in Steinau a.d.O. an. Ein besonders Schmuckstück ist der Ort nicht. Am Ende des WK2 wurde die Stadt gegen die vorrückende Rote Armee erbittert verteidigt. In den Kämpfen wurden 75% der Bebauung zerstört. Das örtliche Schloss aus dem 19. Jhdt wurde dem Erdboden gleichgemacht, vom Rathaus blieb nur der Turm erhalten. Nach dem Krieg wurden die Deutschen vertrieben und Polen und Ukrainer angesiedelt. Die Bevölkerungszahl hat bis heute den Vorkriegsstand nicht wieder erreicht. Wir fahren schnurstracks zur Marina kajakowa, wie sie auf Google Maps ausgewiesen ist. Hier können wir gut den Faltcanadier aufbauen.
½5 sind wir fertig und ich fahre das jetzt leere Auto auf einen Wohngebietsparkplatz in der Nähe des Bahnhofs, wo es bis Montag stehen bleiben soll. Doch nun zurück zum Aufbauplatz. Die Oder bietet einen schockierenden Anblick. Die Trockenheit der letzten Monate war mir zwar bewusst, aber ich hätte nicht mit so extrem wenig Wasser gerechnet. Die Ufer bestehen zurzeit größtenteils aus verschlammten Kiesbänken, die Buhnenfelder enthalten kaum noch Wasser. Der Oderhafen ist trockengefallen, nur noch schlammiger Grund. Die 3 Motorboote am Steg (Statek ŁĘGOWA DAMA) schwimmen zT auch nicht mehr richtig und stecken im Schlamm fest. Aber immerhin, der Oder-Strohm selbst fließt noch und wird unser kleines Bötchen bestimmt bis nach Neusalz tragen.
An der Einsatzstelle liegt der ufernahe, hier kiesige Flussgrund ebenfalls frei. Der Kies gibt unter den Füßen nach und der Schlamm bleibt in dicker Schicht an den Schuhen hängen.
Kurz vor 5 setzen wir uns in Bewegung, auf geht es. Trotz der schwachen Strömung kommen wir auf ~7km/h. Leider schwächelt mein Tachometer etwas. Ok, die momentane Geschwindigkeit wird meist korrekt angezeigt, aber die Uhrzeit überhaupt nicht mehr und es stürzt erstmals in seiner langen Lebenszeit öfter mal ab. Ich denke, mein Holux M-241 hat den GPS-Weekrollover nicht schadlos überstanden. Mit einer angepassten Firmware kann ich wohl nicht mehr rechnen, schade. Nach wenigen hundert Metern verlieren sich die Stadtgeräusche und man ist in der Natur. Nur noch Vogelrufe und Wind, nur ganz selten in der Ferne ein Auto, Trecker, Motorrad oder Dorfköter. Das ist das tolle hier in Polen, so nah an Deutschland weitläufig diese Ruhe. In Polen ist Karfreitag übrigens ein ganz normaler Arbeitstag, kein Feiertag wie bei uns.
Ein Teil der Bäume treibt bereits aus und zeigt sich in frischem Grün, ein anderer Teil steht noch grau im Winterkleid da. Der Wind kommt aus Nordost und bläst uns entgegen. Sehr erstaunlich finde ich, dass selbst wir als Kanuten mitten im Hauptstrom aufpassen müssen, nicht auf flache Sandbänke aufzulaufen. Man muss sich diese Flachstellen als Unterwasser-Dünen vorstellen, die langsam in Stromrichtung wandern und immer wieder neu bis knapp unter die Wasseroberfläche reichen. Zum Glück sieht man diese Stellen schon aus der Entfernung am Strömungsbild und Kräuselungen der Wasseroberfläche.
Nach 1½h und knapp 9km legen wir an und schauen nach einer geeigneten Zeltstelle.
In diesem schönen Eichenhain ist der grasbestandene Boden immer wieder von Wildschweinen umgewühlt worden und es findet sich kein ebenes Fleckchen für das Zelt. So ziehen wir eine Buhne weiter bis an den Rand des Eichenhaines. Dort beginnt eine Wirtschaftswiese und es ist eine schwache Fahrspur im Gras zu erkennen, auf der es sich gut zelten lässt. Eine Feuerstelle gibt es auch bereits. Das Holz an den Bäumen und sogar das reichlich am Boden liegende ist knochentrocken. Als Zündhilfe beschränke ich mich während der gesamten Ostertour auf das trockene Gras vom Vorjahr, welches zZ noch das frische Grün überragt. Ein kurzer Flammstoß aus dem Feuerzeug, und es steht in Flammen. So easy zündet das alles, perfekt. Sonst hatte ich immer noch Grillanzünder zur Starthilfe dabei.
Ganz alleine bleiben wir hier nicht. 2 Buben und ein Mädel kommen abends noch aus dem 1km entfernten Dorf Budków herangeschlendert, grüßen freundlich und angeln ein Stündchen vorne auf dem Buhnenkopf. Früher hieß das Dorf Eichdamm und noch früher Bautke (Bilder1, Bilder2).
Zu den perfekten Wetterbedingungen kommt auf dieser Ostertour noch der nahezu Vollmond, der so hell strahlt, dass der Gebrauch der Stirnlampe selbst im Zelt überflüssig ist.
Dieses Bild vom aufgehenden Mond ist ziemlich überbelichtet (ISO100, F3.5, 13s Belichtungszeit). In Wirklichkeit ist es dunkler.
Tag 2, Samstag 20. April 2019 Kurz nach 4, ich muss mal kurz raus, dämmert es bereits wieder. Die Wiese liegt stellenweise in dichtem Nebel und ich versuche schnell ein paar Fotos:
Die Nacht war viel kälter als gedacht, Reif bedeckt meinen Stuhl. Das habe ich nicht unbedingt erwartet. Vorhergesagt war nur ein Nachttemperaturminimum von 4°C (meteoblue) bzw 6°C (Wetteronline). Aber das ist alles kein Problem, dann rücken wir einfach noch enger zusammen. Wir schlafen noch weiter, bis die Sonne das Zelt so weit aufheizt, dass man es kaum noch aushält.
Der Blick nach draußen hält eine freudige Überraschung bereit. Das Wasser ist über Nacht stark gestiegen. Da es im oberstromigen Einzugsgebiet aber in den letzten 4 Wochen kaum geregnet hat, kann der Anstieg nur auf menschliche Manipulation zurückgeführt werden. Nun erinnere ich mich, dass im Faltboot-Wiki eindringlich vor genau diesen heftigen Wasserstandsschwankungen im Dienste der Schifffahrt gewarnt wird: “Der Wasserstand kann daher bis ~20 km hinter der letzten Staustufe um bis zu 1,5 Meter schwanken! (Das sind bei einem flachen Strand etliche Meter Sicherheitsabstand!) …. Bei der Wahl des Biwakplatzes unbedingt auf Zeichen der Wasserstandsänderungen achten! Wo z.B. typische Wellenmuster im Sand zu sehen sind, ist vor kurzem Wasser geflossen (sonst wären die Muster getrocknet und verweht) und wird es bald wieder tun! Unter Umständen reichen aber auch diese Vorsichtsmaßnahmen nicht aus. "Obwohl wir uns der Gefahr einer nächtliche Flutwelle bewusst waren und unser Nachtlager entsprechend oberhalb der Graskante und aller Schlickablagerungen aufgeschlagen hatten, floß morgens um sieben die Oder durch unser Zelt. Auch herumliegendes, trockenes Holz und alte Lagerfeuerstellen sind kein eindeutiges Zeichen!" (Johann, 2017)”.
Das extreme Niedrigwasser von gestern, die Schlammbänke an den Ufern, alles weg, alles wieder gut. Zum Glück hatten wir gestern Abend das Boot hoch genug abgelegt. Auch während des Frühstücks steigt das Wasser kontinuierlich immer weiter an, die Sandbank vorne am Buhnenkopf wir immer kleiner (Bild ¾9). Ein Motorboot nutzt die günstige Gelegenheit und tuckert stromab.
Die Buhnen zeigen nur noch ihre bewachsenen Bereiche, die steinigen Bereiche liegen unter Wasser.
Hier unsere Sandbank kurz vor Abfahrt ½12:
Die Ufer sind über weite Strecken bewaldet oder mit einem breiteren Gehölzsaum bestanden.
Immer wieder sind blühende Gehölze darunter, wie Schlehen, Weiß- und Rotdorn sowie Obstbäume.
In der nächsten Flussbiegung liegt das 1998 unter Schutz gestellte, 197ha große Auengebiet “Naroczycki Łęg” (Großer Eichert?). Geschützt werden Feuchtwiesen, Weiden- und Pappelbestände sowie Eschen-Ulmen-Sumpfwälder. Hier brüten ua Höckerschwan, Schwarzstorch, Wildgänse und Seeadler. Eine Kuriosität des “Naroczycki Łęg” und ungewöhnlich für das Land hier ist eine Ansammlung wilder Birnbäume, von denen 74 alte Bäume als Naturdenkmal anerkannt wurden. Einer von ihnen erreicht einen Stammumfang von 2.6m und ist der älteste und wertvollste im ganzen Land.
Bereits um 1300 wurde dem Ort das Magdeburger Stadtrecht verliehen. Nach der Schlacht von Kunersdorf 1759 weilte Friedrich der Große im Köbener Schloss und gewährte später den Köbenern den Bau einer evangelischen Bethauskirche, welche 1769 fertiggestellt wurde. Das historische Rathaus, die evangelische Kirche und eine Reihe Häuser an der Oderseite wurden um 1960 abgebrochen. Die Zahl der Bewohner liegt zZ auf 40% des Vorkriegsstandes. Dennoch macht der Ort heute stellenweise wieder einen hübschen Eindruck. Das Schloss scheint immer noch Ruine zu sein, ist aber nicht rettungslos verloren und wird evtl. in Zukunft restauriert werden.
Am Flussufer sehen wir immer wieder verschiedene Wasservogelarten. Auffällig ist die hohe Fluchtdistanz nicht nur der Gänsesäger, sondern auch der Stockenten und Schwäne, die bei uns in Deutschland eher noch angekommen wären, um nach Futter zu betteln. Natürlich habe ich mit der neuen Kamera bei etlichen Gelegenheiten draufgehalten.
Gänsesäger-Männchen:
1km uh der 2012 fertiggestellten Autobrücke über die Oder zwischen Züchen/Ciechanów und Radschütz/Radoszyce machen wir Mittagsrast auf einer schönen Sandbank:
Es findet sich genug knochentrockenes Feuerholz auf der Wiese nebenan, sowie Heu als Feuerstarter, und innerhalb weniger Minuten brennt unser Kochfeuer:
Eine Wonne, Feueranzünden unter solch perfekten Bedingungen. Seitdem wir den Brändi-Grill aus der Schweiz dabeihaben, kippt auch der Topf nur noch selten vom Feuer:
Der Wind bläst kräftig und facht das Feuer an.
Um 2 passiert dann ein Schubverband unseren Pausenplatz. Wegen diesem einzelnen, höchstens teilbeladenen Schiff wurde die Oder erst leerlaufen gelassen und heute geflutet. Wahnsinn. Die 1,1 Mrd. Złoty für den Bau der letzten Staustufe wären vielleicht in besserer Bahn-Infrastruktur gewinnbringender angelegt.
1½h später paddeln wir weiter. Nach kurzer Zeit sehen wir unser Schiff wieder vor uns. Es hat sich mitten im Strom festgefahren und liegt dort etwas schräg in der Strömung. Die Besatzung ist hilflos, kann nichts machen. Wahrscheinlich rufen sie bei der Schifffahrtsverwaltung RZGW an und fordern noch einen Schwapps mehr Wasser.
Wir fahren vorbei und ich habe mal wieder ein schönes Fotomotiv vor mir, einen frisch aus Afrika zurückgekehrten Storch. Im Vorbeifahren entsteht diese Bilderserie:
Anschließend kommt mir noch eine Giraffe vor die Linse. Oder war es ein flötender Osterhase?
Kurz nach ½6, nach mehr als 33km Paddelstrecke, schlagen wir das Lager auf einer schönen sauberen Sandbank auf, die bisher nur von Tieren Besuch erhielt:
Gegenüber steht ein herrlicher Auwald.
Schnell stellt sich heraus, das wir auf einer Insel gelandet sind. Ein kleiner Nebenarm schneidet uns den Weg ans Land und zum Feuerholz ab. Also fahre ich nochmal auf die andere Seite, um Holz zu holen. Ich ziehe an einem Ast eines toten Baumes, da kommt mir gleich der ganze Baum entgegen. Die Äste, die ich abgebrochen bekomme, nehme ich mit auf die Insel. Alles perfekt durchgetrocknetes Holz, und mürbe genug, um es relativ leicht zu brechen. Mit Axt oder Säge belasten wir uns auf solchen Touren idR nicht.
Im Verlaufe des Abends beobachten wir, wie das Wasser weiter steigt und die Sandbank gegenüber erst abgeschnitten und dann ganz überspült wird.
Tag 3, Ostersonntag 21. April 2019 Ein perfekter Morgen, klarer Himmel, Windstille, Vogelgezwitscher.
Das Wasser ist einen weiteren halben Meter gestiegen und hat unsere Feuerstelle von gestern Abend überflutet. Glücklicherweise lag der Feuerholzvorrat noch etwas höher und blieb trocken.
Kurz vor 7 kommt der bereits bekannte Schubverband wieder vorbei: Sie haben die ganze Nacht auf der Sandbank verbracht.
Das Kaffeewasser kocht:
Andrea hat neben vielen anderen expeditionstauglichen, also wasserfreien Nahrungsmitteln auch ein proteinreiches Müsli-Pulver aus dem Biomarkt mitgebracht, dass wir heute erstmals ausprobieren:
Leider ein Fehlgriff, es schmeckt so bescheiden wie es aussieht. Ich esse selbstverständlich auf, und als Andrea ihr Schälchen wegkippen möchte, esse ich auch ihren Teil. Sie röstet sich stattdessen eine Scheibe Brot:
Der Auwald gegenüber wird heute Morgen von der Sonne beschienen und begeistert mit seinen verschiedenen zarten Grüntönen:
Kurz vor ½11 paddeln wir los.
Der erste Ort lugt ein wenig hinterm Deich hervor, aber man sieht nur Ruinen:
Die Ruinen gehören zum ehem. Gutshof des kleinen Weilers Milchau/Mileszyn. In Polnisch sagt man zum Gutshaus Palast. Dieser hier wurde Anfang des 19. Jahrhunderts erbaut, hat den Krieg überstanden und war noch lange in der polnischen Zeit bewohnt.
Sehr schöne Lagerplätze mit kurzgefressener Weide finden sich kurz vor der Mündung der Bartsch/Barycz:
Die Bartsch ist ein rechter Nebenfluss der Oder und zum Teil paddelbar. Es gibt wohl auch Bootsverleiher. Über seine Länge streiten die Nationen, alleine die Wikipedia führt 133 deutsche, 136 englische, und 139 polnische Kilometer auf. Vor den Begradigungen maß man 165km.
Wieder Gänsesäger, diesmal Weibchen:
Die katholische Kirche St. Nepomuk aus dem Jahr 1761?, dahinter lag das Landgut Grunwald (Dorf Wilkau/Wilków):
2011 wurde die Kirche resaturiert. Wilkau liegt in einer großen Oder-Kurve an einer Stelle, an der im Mittelalter eine Handelsroute Polen mit Schlesien verband. Diese Seite schreibt mehr über die wechselvolle Geschichte des Ortes (Achtung: weiße Schrift auf weißem Grund).
Sieht dat net scheeh aus, so am Flussufer?:
Brennholzbaum:
Um 12, nach fast 13km Fahrt, vertreten wir uns kurz die Beine am Ufer. Glogau/Głogów kommt in Sicht:
Chcesz więcej adrenaliny? Links steht 2km entfernt ein stillgelegter Schornstein. Dort kann man sich heute aus 222m Höhe in die Tiefe stürzen (Dream Jump Głogów). Ein Sprung kostet 450PLN, also 105€. Wer bereits oben steht und sich dann nicht traut zu springen, kann die Aktion für 50PLN zusätzlich auf nächstes Jahr verschieben.
4km voraus leuchtet der 300 Jahre alte Rathausturm von Glogau:
Das Schloss Glogau und die "Rosa Brücke", erbaut 1917 als Hindenburgbrücke: Ende der 1990er Jahre organisierte das lokale Fernsehen Głogów eine Volksabstimmung über eine neue Farbe für die Brücke. Heraus kam Rosa. Seit 2005 heißt sie “Brücke der Toleranz”.
Das Schloss der Herzöge von Glogau, später königliches Schloss und Landgericht, wurde restauriert und beherbergt heute das Archäologisch-Historische Museum zu Glogau. Von dem ursprünglichen mittelalterlichen Bau zeugt nur ein runder Turm, der so genannte Hungerturm, der Hauptteil des Gebäudes stammt aus dem 18./19. Jahrhundert.
“Das alte Glogau wurde in den siebenwöchigen Kämpfen 1945 so dem Erdboden gleichgemacht, dass man erst 15 Jahre später daranging, die Trümmer zu räumen. Noch Ende der 60er Jahre sahen DDR-Paddler: "Ehemaliges Stadtgebiet ein quadratkilometergroßer, freier Platz mit zwei Ruinen, einer halbzerstörten Kirche und einem ganzen Wohnhaus. Gespenstischer Anblick." (Auf Odra, Obra und Obrzyca (Gelhaar 1969)) Nur drei alte Häuser im Schatten der Nikolaikirche überlebten den Krieg. Erst seit den 1980er Jahren wird die Innenstadt auf den ursprünglichen Fundamenten und in Nachahmung der alten Bürgerhäuser neu errichtet. Über den Stil, der einige Reisende an das Berliner Nikolaiviertel und den Frankfurter Römerberg, andere an "Disneyland" erinnert, läßt sich streiten” (Zitat Faltboot-Wiki), Panoramabild.
Wir sehen vom Boot aus nicht viel von der Stadt. Aber wir wollen Trinkwasser fassen und erkennen rechts die Marina Glogau. Dazu müssen wir erst einmal 300m dran vorbeifahren und unterhalb der alten Eisenbahnbrücke in den “Alten Hafen” einfahren.
Unten legen wir am neuen Schwimmsteg aus Beton an. Die Marina ist ganz neu, wurde April 2016 fertiggestellt, alles sieht sehr edel aus. Das Restaurant ist zwar jetzt Sonntag bis 12 Uhr noch geschlossen, aber es sitzen schon viele gut aussehende Leute an den Tischen im großzügigen Freibereich in der Sonne. Ein Foto muss ich mir da oben verkneifen, denn nach dem seit letztem Jahr geltenden EU-Fotografierverbot müsste ich wohl alle Anwesenden um eine schriftliche Zustimmungserklärung ersuchen, worauf ich keine Lust habe.
Trotzdem das Restaurant noch zu ist werde ich nicht abgewiesen mit meiner Bitte um Wasser. Die niedrigen Hähne an den Waschbecken in der Toilette sind ungeeignet zum Auffüllen meines 6L-Behälters, also gehen wir zur Theke mit mehreren verschiedenen Wasserhähnen. Sie fragt, “warm?” ich: nie nie, “gazowanie?” ich: nie nie, nur einfach Wasser. Endlich bekomme ich das blanke Leitungswasser, danke!
Wir paddeln noch 3km weiter und landen ½2 zwischen Glogau und der Glogauer Kupferhütte zur Mittagspause an. Das muss man sich jetzt nicht so schrecklich vorstellen, wie man das aus den dichtbesiedelten Industrierevieren des Westens kennt. Um uns herum ist Natur, und die Geräuschkulisse ist neben ein paar seltenen Auto- und Eisenbahngeräuschen von der Vogelwelt dominiert. Genau wie gestern gibt es ein schnelles Feuerchen, wir kochen Kaffee und Brühe und dösen eine Weile im Schatten der Weiden.
Nach 2½h geht es für weitere 10km auf den Fluss. Die Abwasser-Ausläufe der riesigen Kupferhütte zeigen keinerlei Auffälligkeiten. Im Faltboot-Wiki heißt es noch: "auf 4 km Polens größte Kupferhütte, Geruchs- und Lärmbelästigung je nach Windrichtung. Von der Industrieanlage geht rund um die Uhr ein Dröhnen und Hämmern aus, das vom Pfeifen und Rauschen der Güterzüge begleitet wird. Mehrere betonierte Auslässe mit Spundwänden, die bei höherem Wasserstand unter der Wasseroberfläche verborgen sind, daher Vorsicht beim Anlegen. 2014 starker Fäkaliengeruch." Wir dagegen riechen und sehen kein Abwasser, die Schornsteine qualmen auch nicht, zeigen nur ein paar kleine weiße Kondeswolken, und der Lärm hält sich in Grenzen.
Abends landen wir nach insgesamt 35 Tageskilometern auf einer Rinderweide an. Von Rindern ist zur Zeit noch nichts zu sehen, aber die Vegetation ist kurzgefressen, es gibt ein paar Weiden und Pappeln auf dem ausgedehnten Gelände, die uns trockenes Feuerholz bereithalten, der Stand ist schön sauber, alles sehr schick hier. Gegenüber wieder ein schöner alter Auwald.
Wir sind hier 6 - 9km von der Kupferhütte entfernt und hören in der Ferne immer wieder etwas metallisches Schlagen. Aber als richtig lästig empfinden wir das nicht.
Das Wasser ist weiter am steigen, wie wir bald feststellen. Hier ist die Insel im Vordergrund noch trocken:
Um die Entwicklung des Wasserstandes verfolgen zu können, setzen wir wieder Pegelmarken:
Und genießen den Abend und den Sonnenuntergang etwas erhöht mit Blick auf den Fluss und den gegenüberliegenden Auwald:
Die Insel wird langsam vom steigenden Wasser verschlungen:
Ein dubioser Vogel, den ich schon immer mal vor die Linse bekommen wollte: Charadrius dubius, der Flussregenpfeifer.
Der Vogel lässt mich ungewöhnlich nah heran und schaut und ruft immer in Richtung Wasser. Ich vermute, er hat hier bereits Eier in den Sand gelegt, und die Flut hat ihm nun das Gelege genommen. Der Artname "dubius" heißt wohl "in misslicher Lage befindlich". Es ist eine ¼h vor Sonnenuntergang, die Sonne bereits hinter den Bäumen des Auwalds verschwunden, und so versuche ich nun mit allen möglichen Tricks zu guten Bildern zu kommen. Ich hole mein neues China-Stativ, stelle auf 2sec-Selbstauslöser und versuche nun, mit relativ langen Belichtungszeiten trotz 600mm-Zoom scharfe Bilder hinzubekommen. Natürlich hopst der Vogel innerhalb der 2 Sekunden auch immer mal aus dem Bild, aber die Masse machts, ein paar gute Bilder sind dabei:
Ausschnitt:
Jetzt sogar nur noch mit ISO 100 und 1/25sec Belichtungszeit:
Eigentlich bin ich ganz zufrieden mit diesen Aufnahmen, obwohl die Schärfe nicht immer perfekt sitzt. Aber doch besser als alles, was vorher möglich war. Nun muss ich in den verzweigten Menüs nur noch die Stelle finden, wo man das Autofokus-Messfeld fix auf Spotmessung Mitte einstellt. Hier musste ich immer mit dem Finger auf dem Touchscreen das Messfeld justieren.
Nach Sonnenuntergang zünden wir noch unser Lagerfeuer, diesmal ohne was zu kochen, rein zum Plaisir. Aus dem Auwald ruft eine Eule.
Tag 4, Ostermontag 22. April 2019 Eine ½h nach Sonnenaufgang bin ich mit der Kamera wieder draußen am Fluss. Reif bedeckt das Boot:
Leichter Nebel zieht über das Wasser:
Hier sehe ↑ ich diesen Gesellen und eile ans Ufer. Er lässt sich von mir nicht stören und zieht weiter seine ufernahe Bahn gegen die Strömung. Ein dicker Biber:
Hier ist er immer noch zu sehen, in Bildmitte:
2h später stolpere ich über diese Erdkröte:
Das arme Tier ist im Frost erstarrt und lässt sich darum sehr bereitwillig ablichten. Auch als ich das Gras zwischen ihr und der Linse entferne, kann sie sich nicht rühren.
Eine weitere Stunde später ist sie verschwunden und hockt jetzt wahrscheinlich im benachbarten Tümpel.
Biberspuren:
Frühstücksplatz am Feuer: Heute gibt es Nudeln mit reichlich Zwiebeln und Knofel.
Das Wasser hat aufgehört zu steigen, fällt sogar wieder leicht und unsere gestrige Insel wird wohl bald wieder auftauchen.
Blick vom Lagerplatz auf unsere Landseite:
Heute ist es nicht mehr weit bis zu unserem Ziel Neusalz, nur noch 20km. So starten wir erst ¼ nach 11. Heute gibt es auch mal wieder Wolken am Himmel, und der Wind ist spürbar. Um 12 passieren wir Beuthen a.d.O./Bytom Odrzański. Hier hätten wir ebenfalls guten Bahnanschluss, um zum Auto zu kommen.
Eindrucksvoll finde ich, wie positiv die Entwicklung des Ortes von einer einzigen einflussreichen Familie beeinflusst wurde: “Franz von Rechenberg verkaufte 1561 die Herrschaften Beuthen mit Polnisch Tarnau und Carolath an den Ritter Fabian von Schoenaich, der zu einem der größten Grundbesitzer Schlesiens wurde. Sein Vetter und Nachfolger Georg Freiherr von Schoenaich ließ das Oderufer zwischen Beuthen und Schlawa urbar machen, förderte den Obst- und Weinbau. Unter seiner Herrschaftszeit entstand zwischen 1602 und 1609 ein neues Rathaus, der Turm der Stephanskirche wurde erhöht, das Georgenhospital errichtet sowie eine Brücke über die Oder und der erste Oderdamm, der Schoenaichdamm, entstanden. 1601 begründete Freiherr von Schoenaich eine Hochschule. Die Universität, das Gymnasium academicum, umfasste 12 Lehrstühle, unter anderem für Theologie, Recht und Astronomie. 1616 wurde eine Stadtbefestigungsanlage mit drei Stadttoren nach Plänen des Festungsbaumeisters Andreas Hindenberger errichtet. Mit Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges und dem Tod des schlesischen Kanzlers Georg von Schoenaich im Jahre 1619 war es mit der Blüte der Stadt vorbei” (Wikipedia). Am Ende des WK2 war die Stadt “nur” zur Hälfte zerstört, und so blieben einige der historischen Bauten erhalten. "Bytom besitzt den schönsten Marktplatz von ganz Niederschlesien", Virtueller Rundgang.
Nur 4km weiter findet sich die nächste Sehenswürdigkeit, wieder verbunden mit der Familie von Schoenaich. Schon auf dem Satellitenbild ist mir eine große Schlossruine aufgefallen, die möchte ich mir näher ansehen.
Es handelt sich um die Reste des Schlosses Carolath, einstmals eines der prächtigsten Schlösser Niederschlesiens. Es wurde zwischen 1597 und 1618 errichtet und in den nachfolgenden Jahrhunderten mehrmals umgebaut und stilistisch verändert. So sah das damals aus:
Schloss Carolath um 1860 (gemeinfrei)
Wir nähern uns der Flussanlegestelle, als uns an Land 2 Reiter entgegenkommen. Auf den ersten Blick hätte man meinen können, die ‘gute alte Zeit’ sei hier noch präsent.
Die Flussanlegestelle Carolath/Siedlisko ist genau so neu wie die in Glogau und Beuthen.
Wir legen an, Andrea ruht sich ein bisschen aus, und ich laufe hoch zum Schloss. Ein touristisch erschlossener Rundweg ist ausgeschildert und mit Informationstafeln in polnisch, englisch und deutsch ausgestattet.
Blick von Carolath zurück nach Beuthen: Von oben vom Schloss aus muss das ein großartiger Blick gewesen sein.
Auf dem alten Postweg, dem “Preußischen Trakt”:
Der Ziegelkanal, 19 Jhd.:
Ruine Schloss Carolath:
Nach Ende des Zweiten Weltkriegs wurde das Schloss, in dem viele wertvolle Kulturgüter gelagert waren, von Soldaten der Roten Armee abgebrannt (Wikipedia). Weitere Infos gibt es im Neuen Glogauer Anzeiger Nr 5, Mai 2017: Schloss Carolath in Schlesien. Am Ende dieses Artikel findet sich ein Gedicht des schlesischen Dichters Hans Niekrawietz. ‘Eigenartigerweise’ findet sich zu ihm kein Artikel in der deutschen Wikipedia, in der polnischen dagegen schon.
2003 wurde das Schloss für 257.000 PLN an einen Bürger von Neusalz verkauft. Im Jahr 2007 wurde es vom Italiener Giulio Piantini, Präsident von Arcobaleno, aufgekauft, der die Schlossruine wieder aufbauen und zu einem Hotel- und Konferenzzentrum entwickeln will.
Bisher tut sich noch nicht viel. Man ist gerade dabei, die Wege etwas vom Schutt zu beräumen:
Das Torhaus wurde Ende der 60er Jahre wieder aufgebaut, unter tatkräftiger Mithilfe von Pfadfindern:
Inschrift über dem Tor: "IEHOVAE DEXTERA NOSTRUM MUNIMENTU" (Gottes Gesetz, unser Schutz)
Ich hatte gehofft, das Gelände betreten zu können, jedoch ist alles abgesperrt. Einmal im Jahr wird offiziell geöffnet, zum Fliederfest. So kehre ich um, und wie paddeln die restlichen 9km bis Neusalz.
Entlang des Flusses gibt es noch einmal ein paar schöne Tierbeobachtungen. Rote und Schwarze Milane, Bussarde, ein Falke, lautstarke Rabenbanden, ein alter Seeadler hoch oben am Himmel, und Wildgänse.
Roter Milan, hier an der Oder häufig zu sehen:
Schilfbestandenes Oder-Ufer:
Um 2 erreichen wir Neusalz. Die Bogenbrücke über der Hafeneinfahrt ist meine Landmarke:
Der Kajak-Klub ist zwar geschlossen, wir gehen aber trotzdem auf Land und packen das Boot aus. Das Tor ist leider auch verschlossen, so dass ich mit dem Auto nicht aufs Gelände fahren könnte. Aber dann umrunden wir das Haus und finden jemanden, der hier auf dem Gelände wohnt. Wir erläutern ihm, was wir vorhaben und er schließt uns das Tor auf.
Die Bahn fährt in 7 Minuten, die würde ich sowieso nicht schaffen, die nächste um 16:01, und so bauen wir erst mal das Boot ab und essen etwas aus unseren unendlichen Vorräten zu Mittag.
Reichlich vor der Zeit schlendere ich dann in einer ¼h zum Bahnhof. Hier ein Blick auf den Wirtschaftshafen von Neusalz:
Den Gartenzwerg-Park lasse ich diesmal links liegen. Die Fahrkarte ist schnell gekauft (16.10PLN, ~3,76€ für 72 Bahn-Kilometer), meine Online-Fahrpläne scheinen auch alle zu stimmen, und so habe ich noch etwas zu warten. Ich war gar nicht so sicher, ob heute tatsächlich so viele Züge fahren, wie der Fahrplan ausgab, denn heute am Ostermontag ist auch in Polen offizieller Feiertag.
Comics erklären Benimmregeln an der Bushaltestelle:
Der Bahnhof von Neusalz: Die Bahnsteigkante ist zwar nicht behinderten- und faltbootgerecht hochgelegt, aber wenigsten müsste man nicht durch den Tunnel unter den Gleisen. Ganz hinten im Bild kann man die Gleise ebenerdig überqueren.
Der Bahnsteig füllte sich rasch und auch der 12 Minuten verspätete Zug war dann ziemlich voll besetzt. Die Bahn hier entlang der Oder ist Teil einer Hauptstrecke zwischen Stettin und Breslau.
1:10 später bin ich zurück in Steinau a.d.O. und laufe noch 800m zum Auto. Das steht noch friedlich auf dem Wohngebietsparkplatz. Seit ich letztes Jahr die Hohlraumkonservierung mit Fett wiederholt hatte, zeigt es wieder erhebliche Inkontinenz, sobald es in der Sonne steht:
Nach 78km bin ich wieder bei Andrea im Kajak-Klub. Verladen, und dann geht es zurück. Das Garmin-Navi zeigt ernsthafte Ausfälle, will nicht wieder starten, und so darf das Handy übernehmen. Kurz vor der Grenze wird noch mal vollgetankt (1.21€/L Super), und am späten Abend sind wir wieder zu Hause. Spritverbrauch vor dieser Tankfüllung ~3.46L/100km.
Insgesamt eine richtig easy Tour in geschichtsträchtiger Landschaft mit 97km auf dem Wasser, praller Natur, der frisch austreibenden Vegetation in schönsten Frühlingsfarben, mit vielen Tierbeobachtungen, leicht zu paddeln und ebenso leichtem Auto-Zurückholen.
Top Bericht ! Danke! Eben nur mal überflogen, in ner ruhigen halben Stunde nehmen ich mir den mal genauer vor. Grüße Rheinländer
______________________________________________________________________ Da wir im gleichen Boot sitzen, sollten wir froh sein, daß nicht alle auf unserer Seite stehen.(Ferstl Ernst)