Ich mache im Leben ziemlich viel verkehrt. Auch beim Paddeln. Heckhebel- zu heftig, J-Schlag- fast wirkungslos, vom übergegriffenen Bugziehschlag will ich gar nicht erst reden.
Im Tandem, mit meiner Freundin, hat mich das bereits meinen Platz als Steuermann gekostet. Was immerhin unsere Beziehung gerettet hat. Nur ist es so, dass Eva, so heisst sie, beim Paddeln nicht immer den ganz grossen Ehrgeiz entwickelt.
Also nicht so wie wir Jungs. Bei uns, zumal wenn wir nicht die Grössten sind und auch nicht den Grössten haben, tut es doch richtig gut ab und zu mal zu zeigen, dass wir trotzdem zu den Grössten gehören. Ich brauchte also einen Solo-Kanadier. Und zwar einen richtig schnellen.
Ein Renner aus Amerika
Wenn man’s beim Auto nur zu einem Opel Corsa geschafft hat, dann sollte das Boot schon was hermachen. Meine Wahl : Der Classic XL von GRB Newman, 5,12 m pures Carbon, 11 kg leicht, eine Augenweide. Leider so teuer, dass er erst abbezahlt war nachdem wir unser Haus verkauft hatten. Aber egal.
Seitdem paddle ich Marathon. Denn mit diesem Boot kann man schnell fahren. Und lange schnell fahren. Dazu gehört das richtige Paddel mit Knickschaft und die passende Technik : Sit and Switch, also genau das, was Leute machen die nicht richtig Kanadier fahren können. Perfekt für mich.
Meine Trainingstouren mache ich auf der Werra. Mal 20, mal 40, mal 80 km. Beim 1000-Seen-Marathon war ich schon dabei, bei der Tour de Gudenaa, beim Wesermarathon bin ich bis Holzminden gekommen.
Zimmer-Paddeln
Für den Winter habe ich mir ein Holzgestell gebaut, damit ich auch auf dem Trockenen üben kann.
Dann hat mich Manfred paddeln gesehen. Er kennt sich aus mit Sit and Switch. Er fand es katastrophal. Der Catch viel zu weit hinten, die Schulterdrehung nicht vorhanden. Jörg schrieb mal im Forum von einem « abschreckenden Beispiel für Armpaddelei ». Er muss mich gemeint haben.
Ich war dann ziemlich deprimiert und habe überlegt die Sportart zu wechseln. Vielleicht Golf ? Beim Murmeln war ich früher ganz gut. Oder sollte ich gleich meine aktive Sportler-Karriere beenden und mich als Senioren-Betreuer beim Kringelfieber anmelden ?
Eva hat mich wieder aufgebaut. Sie meinte, wenn’s mir doch Spass macht, warum ich dann nicht einfach so weiter paddeln würde, wie ich’s eben kann ? Auch wieder wahr.
Also habe ich mich bei der Aller-Hochwasser-Rallye angemeldet, Goldstrecke. Wennschon, dennschon. 112 km von Celle nach Verden, 4 Wehre zu umtragen. Heldensport eben.
Die Aller am Morgen
Beim Aufstehen in Celle sind Sterne am Himmel, minus drei Grad. Als der Bus aus Verden kommt, steigen die meisten Paddler in ihre Boote und fahren los. Um halb sechs im Morgengrauen lege ich auch ab. Als ich die Ufer erkennen kann, ist dort alles reifbedeckt. Das Wasser, das beim Switchen auf meine vordere Spritzdecke tropft, gefriert zu kleinen Eisplättchen.
Ein schneller Kajak-Zweier überholt mich, dann Stille. Ich suche meinen Rhytmus. Mit der Strömung halte ich 11 km/h. Um vor Schluss der Rallye anzukommen, brauche ich einen Schnitt von 10. Der Rückstau vom ersten Wehr kommt früh und meine Geschwindigkeit fällt. Nach knapp 15 km sehe ich die Anlage. Eva und unser Sohn Fernand sollen dort auf mich warten. Ich weiss nicht, ob ich nach links zur Schleuse oder nach rechts zum Wehr muss. Als ich meine Helfer endlich sehe, scheinen die auch nicht zu wissen, wo ich aus dem Wasser raus und vor allem wieder rein muss. Fängt ja gut an.
Anlanden vor dem Wehr
Ich steige vor der Schleuse aus. Die Beiden nehmen mein Boot und geben mir einen Rucksack mit Verpflegung. Wir umtragen die Schleuse. Aber dort am Ende ist kein Steg. Bis wir uns für eine Einsatzstelle entschieden haben kommt aus dem Wehr-Arm ein Kajak-Einer angepaddelt. Der kannte sich wohl aus und ist nun vor mir weg. Ich versuche noch ranzukommen, aber er ist zu schnell.
Bei den Wehren zwei, drei und vier wissen wir dann besser wie es funktioniert. Man muss sich einfach an die blauen Schilder für die Kleinboote halten. Eva und Fernand versorgen mich mit Essen und Trinken und tragen mein Boot. So verliere ich bei den Umtragestellen nicht allzu viel Zeit. Ich halte meinen 10-er Schnitt und fühle mich noch gut. Wenn nach dem letzten Wehr die Strömung mithilft könnte ich es schaffen.
Flüssigkeitszufuhr dank Fernand
Mit meinen beiden Helfern verabrede ich, uns an der Einsatzstelle in Reethem wieder zu treffen, da wo die Boote für die Kurzstrecke starten. Nach dem Wehr in Hademstorf geht es tatsächlich erstmal flott voran. Bis Hodenhagen fahre ich wieder mit 11 km/h. Vor dem Strandcafé sitzen Eva und Fernand und winken mir zu. Nur noch 55 km, ich habe die halbe Strecke geschafft.
Doch dann kommt er doch noch, der Wind. Davor hatte ich die grösste Angst. Eigentlich hatte ich ja total Glück mit dem Wetter. Ein sonniger Frühlingstag, nicht zu warm. Aber ganz ohne Wind geht es wohl nicht im Norden Deutschlands. Mein super-leichter Kanadier wird manchmal heftig verblasen. Trotz einseitiger Paddelschläge treibt es mich ans Ufer oder vor Hindernisse. Des öfteren muss ich komplett abbremsen und neu starten. Meine Durchschnittsgeschwindigkeit fällt und fällt.
Jetzt kommt mein Einbruch. Und zwar im Kopf. Ich habe Hunger und meine Helfer mit der Verpflegung warten in Reethem. Nach meiner Rechnung ist das bei km 77. Doch da ist nichts zu sehen. Ein weiteres Kajak zieht mit Leichtigkeit an mir vorbei. Ich frage nach der Einsatzstelle für den Bronzestart doch der Paddelkollege weiss von nichts, meint nur dass der Ort Reethem erst noch kommt.
Ich fahre weiter. Jeder einzelne Paddelschlag schmerzt. Was für eine bescheuerte Idee, die Langstrecke fahren zu wollen.
Die Schilder mit den Flusskilometern liegen immer weiter auseinander. Erst nach einer halben Ewigkeit folgt die 80 auf die 79. Zwischen der 80 und der 81 liegt schon eine ganze Ewigkeit. Als die 82 in Sicht kommt, sehe ich Eva und Fernand am Ufer in der Sonne liegen. Noch nie habe ich mich so über die Beiden gefreut.
In zehn Minuten mache ich den Verpflegungsrucksack leer. Banane, Nüsse, Hefekuchen, alles muss rein. Dann geht es wieder. Nur noch 30 km, ist doch ein Klacks. Jetzt den Schnitt halten und ich bin noch in der Zeit. Der Wind hat nachgelassen und die Kühe am Ufer gucken auch wieder freundlicher. Als das Kilometerschild 100 auftaucht werde ich geradezu euphorisch. Soll noch mal Jemand was gegen meine Paddeltechnik sagen.
Aus der Ferne höre ich Motorboot-Geräusche. Dann sehe ich es kommen. Mit Vollgas. Die scheinen doch tatsächlich Ende März auf der Aller Wasserski zu fahren. Das Boot fährt im Kreis, wieder Vollgas. Dann Vollbremsung, und noch einmal. Ich komme näher und sehe, da ist kein Wasserskifahrer. Das Boot ist von der DLRG. Die, die dafür sorgen sollen, dass bei der Rallye nichts passiert, lassen auf der Heimfahrt mal so richtig die Sau raus. Als sie mich endlich sehen, halten sie zwar an, aber da ist es schon zu spät. Die friedliche Aller sieht aus wie ein Wildwasserbach. Wellen von allen Seiten und ich mit meinem kippeligen Kanadier mitten drin. Den nächsten halben Kilometer kämpfe ich gegen das Kentern.
Eine halbe Stunde später kommt das nächste Boot der Wasser-Retter auf mich zu. Und noch einmal das gleiche Spektakel. Diesmal sehen sie mich allerdings etwas früher und es wird nicht ganz so schlimm. Trotzdem macht mich das wütend. Es ist zwar schon etwas später, aber die Rallye ist schliesslich noch nicht vorbei.
Es ist halb sechs als ich vor dem Steg des WSV Verden einlaufe und, wie für alle anderen ankommenden Boote auch, für mich die Glocke geläutet wird. Für den Willkommens-Schnaps bin ich viel zu kaputt. Als man mir aus dem Boot hilft, versagen meine Beine und der Steiss schmerzt fürchterlich.
Nach 12 Stunden paddeln schleppe ich mich unter eine herrlich heisse Dusche. Mir ist schlecht und ich bin glücklich. Noch 6 Wochen bis zum Wesermarathon (135 km).
Ich finde, dafür dass ich alles falsch mache, mache ich das eigentlich ziemlich gut.
Zum Schluss noch das versprochene Nacktfoto mit dem ich Euch in diesen Thread gelockt habe. Man beachte die blossen Hände nachdem mir beim dritten Wehr die Handschuhe ins Wasser gefallen sind.
Starke Leistung und toller Bericht. Mit einem bischen Mehr Trainingsstand werde ich dieses Jahr die 42km in Diemitz fahren. Das ist natürlich nichts gegen deine Leistungen.
Was hast du bei deinem Trockentraining geübt ? Rhytmus und Geschwindigkeit ? Oder war an dem Paddel eine 5kg-Hantel ?
packender Bericht. Respekt 112km ist echt eine Leistung!
Ich habe mir auch gerade einen schnelleren Canadier zugelegt (aber nichts im Vergleich mit deinem Classic XL) und am Freitag meine ersten Gehversuche mit einem Bentshaft-Paddel unternommen. Nach ca. 12km hatte ich dann mein Pulver aber auch schon verschossen ;)
Sehr lässig geschrieben... Da muss man einfach schmunzeln! Grüße von einem, der diese Boote auch mag und still und heimlich nur für sich auch mit solch einer 17 Fuß - 11 kg Carbon Gurke Flüsse auf und ab fährt.
sehr viel Respekt vor der sportlichen Leistung, fast mehr aber noch vor dem wunderbar geschriebenen Bericht. So lässig selbstironisch unterhaltsam und dabei nachfühlbar für jeden der mal ein Rennen gelaufen oder gefahren ist. Sarkasmus auf eigene Kosten ist was wunderbares, wenn mans kann. Was immer Du im Leben alles verkehrt machst, Berichte schreiben machst Du schon mal sehr richtig :-)
ein toller Bericht über eine tolle Leistung. Und Gratulation für dein gutes Team, ohne das eine solche Langstrecke nicht zu schaffen ist. Deine Technik ist offensichtlich geeignet, 112 km in einem guten Tempo durchzustehen. Das ist entscheidend. Du weist ja, dass meine Kritik konstruktiv gemeint war.
Mit ehrlicher Bewunderung
Manfred
P.S. Noch ein Bild von dir vom Februar auf der noch teilweise vereisten Bille
.ich ziehe ebenfalls meinen Hut! Da ich selber häufiger mal im Advantage unterwegs bin, weiß ich das zu würdigen! Solch eine Strecke mute ich meinem Hinterteil und Rücken aber nicht mehr zu...
Das erinnert mich an meine Laufzeiten… Ich habe auch nie gewonnen, aber vollkommen kaputt im Ziel einlaufen ist schon ein tolles Gefühl. Glückwunsch dazu! Aber das: „Nach 12 Stunden paddeln schleppe ich mich unter eine herrlich heisse Dusche.“ Nun ja, evtl. bin ich ja beim Laufen so schlecht, auch beim Marathon, das ich nie zu den warmduschern gehört habe. Wenn ich eingelaufen bin, war das warme Wasser alle :)
erstmal vielen Dank für die freundliche Aufnahme meines Geschreibsels. Nachdem meine bisherigen Forumsbeiträge (die vor allem das Ziel hatten, den einen oder anderen Paddelpartner mit Langstreckenbegeisterung zu finden) nicht so erfolgreich waren, dachte ich, ich könnte es ja mal anders versuchen. So weit schon mal mit mehr Resonanz.
Zur Beantwortung einiger der Nachfragen und Anmerkungen:
@Seagull Was hast du bei deinem Trockentraining geübt ? Rhytmus und Geschwindigkeit ? Oder war an dem Paddel eine 5kg-Hantel ?
Hallo Toddy, an meinem Trockenpaddel-Gestell hängt am Ende ein 2kg Gewicht. Durch die Reibung der Schnur in den Laufösen entspricht der Widerstand so ungefähr dem, was ich auf dem Wasser an Kraft einsetze. Es ist also in erster Linie ein Kraft-Ausdauer-Training, jedenfalls wenn man das ein paar Stunden lang macht. Lässt sich ganz gut mit Filme gucken verbinden. Der Rhythmus beim richtigen Paddeln ist aber schneller, da es bei dem Gestell etwas länger dauert, bis das Gewicht wieder unten ist. Wenn ich die Rückholphase normal schnell mache, überhole ich die Schnur und es gibt einen Ruck. Die Schnur hält übrigens so etwa 10 Stunden, dann ist sie durchgescheuert.
Würde mich jedenfalls sehr freuen, wenn Du auch bei den 1000-Seen die 42 km paddeln würdest. Letztes Jahr war ich auf der Marathonstrecke der einzige Solo-Kanadier. Was hast Du denn für ein Boot ?
@cb1p111 Grüße von einem, der diese Boote auch mag und still und heimlich nur für sich auch mit solch einer 17 Fuß - 11 kg Carbon Gurke Flüsse auf und ab fährt.
Warum, um Himmels Willen, fährst Du denn mit Deiner Gurke nur still und heimlich ? Ich geniesse es ja auch oft genug, die Flüsse nur für mich zu haben. Aber ab und zu fände ich es schon schön, mal nicht alleine unterwegs zu sein. Wirklich kein Interesse ?
@Pannacotta Nochmal speziellen Dank an Dich, Florian, für Dein nettes Lob. Wie Du ja wohl gesehen hast, geht das mit dem Schreiben bei mir/uns deutlich besser als mit dem Fotografieren. Die Bilder von Deinem Kanulog sind da schon von einem anderen Kaliber. Glückwunsch !
@mgiese Du weist ja, dass meine Kritik konstruktiv gemeint war.
Manfred, Du weisst hoffentlich auch, dass ich Deine Kritik an meiner Paddel-Technik,und alle anderen Tips und Hilfen die Du mir gegeben hast, sehr schätze. Du hast mir wirklich weiter geholfen, auch wenn es mir nicht gelingt alles lehrbuchmässig umzusetzen. Ich hoffe, Du gibst trotzdem nicht auf ! Im Übrigen hast Du recht, wenn Du meinst, dass ich ohne die Hilfe von Eva und Fernand die Strecke wohl nicht gepackt hätte.
@gleiter Wie teuer ist abartig teuer, darf mensch das nachfragen? Nur mal so aus reiner Neugier.
Hallo André, der Classic wird von Jörg Wagner (Wooden Boat) für etwa 4000 Euro verkauft. Dazu kommt dann bei mir noch die Spritzdecke die Peter Jarmer (Helmi Sport) für 500 Euro anfertigt. Mein Power Surge Paddel von ZRE gibt's bei Florian (Bushpaddler) für knapp 300 Euro. Alles in allem, jedenfalls für unsere Haushaltskasse, ein nicht ganz preiswertes Vergnügen.
Habe mir vorhin Deine homepage angeschaut und die edlen Dinge aus Deiner Produktion bewundert. Bin selber auch ein Holzwurm mit eigener Werkstatt. Allerdings mit Vorliebe für einen etwas rustikaleren Stil. Manchmal bleibt es auch nicht nur bei Holzarbeiten. : Hier, wenn Du magst, ein Link zu dem was Eva und ich zusammen werkeln...
@KaiV Wenn ich eingelaufen bin, war das warme Wasser alle :)
Ich weiss auch nicht wie die Verdener das mit dem heissen Wasser hinbekommen. An der Rallye haben fast 500 Kanuten teilgenommen, davon nur knapp 30 auf der Langstrecke, alle anderen waren eh früher am Ziel. Ich war also ganz bestimmt nicht einer der Ersten unter der Dusche, aber dafür gaaanz lange...